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West Side Story

Leidenschaft, Dramatik & unvergessliche Musik

Der Sommer 2025 wird groß: Bernsteins „West Side Story“ kommt nach Eutin! Der Klassiker ist heute so frisch wie bei seinem Debut 1957. Die Liebesgeschichte, die ethnischen Konflikte zwischen Puerto-Ricanern und Amerikanern – brandaktueller Stoff, von Bernstein so umwerfend vertont, dass das Stück zu Recht als „Mutter aller Musicals“ gilt.

West Side Story – Leidenschaft, Dramatik

Die Presse ist begeistert! Lesen Sie eine Auswahl der Kommentare:

Warum „West Side Story“ ein unvergessenes Spektakel der Extraklasse ist (shz.de)

Eutiner Festspiele: Publikum ist nach Premiere völlig aus dem Häuschen (shz.de)

„West Side Story“ in Eutin: Lohnt sich der Besuch des Musicals? (kn-online)

Hormoneller Überschuss vs. Ewige Liebe (concerti)

Fester Bestandteil des kulturellen Sommers in Schleswig-Holstein (KulturPort-SH)

Rassismus und Romantik: Eutiner Festspiele mit „West Side Story“ gestartet (NDR-Kultur)

„West Side Story“ – Hintergründe, Cast und Kreativteam exklusiv!

 

Das bisher erfolgreichste Musical auf der Seebühne!

Am 26. September 1957 war es endlich so weit: Acht Jahre nach der ersten Idee von Leonard Bernstein und Drehbuchautor Arthur Laurents konnten sie die Premiere von „West Side Story“ feiern. „Die meisten Leute meinten: Diese Idee ist Quatsch. Du kannst kein Musical an den Broadway bringen, in dem es so viel Hass gibt und Feindseligkeit. Aber wir haben daran festgehalten,“ sagt Bernstein. Die moderne Version von William Shakespeares „Romeo und Julia“ als Musical bekam gute Kritiken – zu einem Welthit wurde sie aber erst durch die berühmte Verfilmung von Wise und Robbins, mit Natalie Wood und Richard Beymer. Er wurde 1962 mit10 Oskars ausgezeichnet. Alle Songtexte stammen von Stephen Sondheim, der als der herausragendste Musical-Autor des 20sten Jahrhunderts gilt. Auch die zweite Verfilmung von Steven Spielberg 2021erhielt sieben Oscar-Nominierungen.

Nicht nur der zeitlos-frische Hit „America“ gehört seitdem zum akustischen Welterbe – auch mit der berühmten Ballade „Maria“ singt sich Tony, der ehemalige Anführer der Jets, direkt ins Herz des Publikums.

Klassik, Jazz – und Mambo

Bernsteins Geniestreich ist musikalisch so eingängig wie anspruchsvoll: Ohne Einleitung wirft er das Publikum direkt in die moussierende Handlung. Die Jets – weiße Amerikaner – und die puerto-ricanischen Sharks treffen in einer New Yorker Straßenszene aufeinander. Dynamischer Jazz umspielt die Jets; die Sharks werden getrieben von lateinamerikanischen Rhythmen. Bernstein setzte dafür den Tritonus ein – eine Halboktave – die den dämonischen Sound und die gnadenlose Spannung abbildet, die zwischen den rivalisierenden Gangs schwelt. Erst als Tony – Ex-Jet – und Maria – Schwester eines Shark – aufeinandertreffen, werden diese Gegensätze musikalisch aufgelöst: Die Begegnungen der Liebenden bekommen ihre eigene Note, ihre Herkunft und ihre Zuordnung als Jet oder Shark wird unwichtig.

Jets und Sharks – und die große Liebe

Trotz spannungsgeladener Töne und brisanter Thematik wird dieses Musical weltweit geliebt und immer wieder inszeniert. Warum? Weil sein Thema so zeitlos ist. Wie kann in einer Welt voller Vorurteile und Gewalt die Liebe überleben? „Darum geht es in diesem Stück“, betont Drehbuchautor Laurents. Es ist dieses Thema – und seine mitreißende, musikalische Frische, die dieses Musical zum Klassiker haben werden lassen.

Doch auch, wenn Bernstein sich gegen das Broadway Diktat vom Happy End ausspricht: In dem Adagio „Somewhere“ vereinigen sich die rivalisierenden Gangs im Traum in Freundschaft. Das Finale wiederholt diese traumhafte Vision. Ist eine Versöhnung, trotz allem, doch nicht ganz unmöglich?

Informationen

Nach einer Idee von JEROME ROBBINS

Buch von ARTHUR LAURENTS
Musik von LEONARD BERNSTEIN
Gesangtexte von STEPHEN SONDHEIM

Die Uraufführung wurde inszeniert und choreographiert von JEROME ROBBINS
Die Übertragung des Aufführungsrechts erfolgt in Übereinkunft mit MUSIC THEATRE INTERNATIONAL (EUROPE) LTD, LONDON.
Bühnenvertrieb in Deutschland: MUSIK UND BÜHNE Verlagsgesellschaft mbH, Wiesbaden.

Dirigent: Christoph Bönecker
Regie: Till Kleine-Möller
Choreographie: Timo Radünz
Bühnenbild: Jörg Brombacher
Kostümbild: Timo Radünz

Orchester: Festspielorchester Eutin

Alle Gesangstexte in Deutsch.

Dauer: Ca. 2,5 Stunden inklusive 30 minütiger Pause.

HANDLUNG

1.Akt

New York in den 1950er Jahren: Die Straßen sind Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Jugendbanden. Die alteingesessenen Jets und die frisch aus Puertorico zugezogenen Sharks kämpfen um die Vorherr­schaft in der Nachbarschaft. Obwohl die Polizei versucht, die Konflikte zu unterbinden, bleibt die Lage angespannt. Die Jets beschließen, ein für alle Mal Klarheit zu schaffen. Ihr Anführer Riff überredet seinen besten Freund und früheren Bandenchef Tony, an einem entscheidenden Kampf teilzu­nehmen. Tony hat sich eigentlich von der Gang zurückgezo­gen, doch Riff appelliert an ihre gemeinsame Vergangenheit.
Bei einem Tanzabend kommt es wieder mal zur Konfrontation zwischen den beiden Gruppen. Doch am Rande geschieht das Unerwartete: Tony und Maria begegnen sich – und verlieben sich augenblicklich ineinander. Als Tony hört, dass Maria Bernados Schwester ist, folgt er ihr heimlich nach Hause zum Rendezvous. Sie verabreden sich für den nächsten Abend. Bernardo ist über diese Verbindung alles andere als erfreut. Da Maria Tony gebeten hat, eine Eskalation zu verhindern, versucht er den zwischen den beiden Gangs ausgehandelten Kampf in der Tanzhalle zu verhindern. Doch aufgebrachte Emotionen lassen die Situation außer Kontrolle geraten. Riff schlägt Bernardo nieder, Bernardo ersticht Riff – und im Gerangel tötet Tony schließlich Bernardo. Entsetzt über seine eigene Tat flieht Tony.

2.Akt

Marias Traum vom Glück zerplatzt, als Bernados Freund Chino ihr voller Rachegefühle berichtet, dass ihr Bruder von Tony getötet wurde. Doch ihre Liebe ist so stark, dass sie ihm vergibt, als er sie aufsucht und um Verzeihung bittet. Gemeinsam träumen sie davon, der Gewalt zu entkommen und ein neues Leben zu beginnen. Bernardos Freundin Anita trauert um ihren Geliebten und beschwört Maria, sich Tony aus dem Kopf zu schlagen.Aber Maria hält an ihm fest und bittet Anita, Tony vor Chinos Mordplänen zu warnen.
Anita wird auf dem Weg zu Tonys Versteck von den Chino suchenden Jets aufgehalten und übel drangsaliert.Da behaup­tet sie, dass Chino Maria erschossen habe.Als der Ladenbe­sitzer Doc dieseAussage Tony überbringt, rennt der in seinem Schmerz ziellos umher – direkt in die Arme von Chino, der ihn mit einer Pistole erwartet. Zwei Schüsse fallen. Tony stirbt in Marias Armen.Am Ende stehen sich die verfeindeten Gruppen wortlos gegenüber.


SEITENWECHSEL

WIE AUS DER EAST SIDE STORY DIE WEST SIDE STORY WURDE

Eigentlich war alles ganz anders geplant. Im Januar 1949 schlug der Produzent und Choreograph Jerome Robbins, der 1942 mit seinem Ballett Fancy Free die Vorlage für das erste Bernstein-Musical On the Town (1944) geschaffen hatte, dem Komponisten eine moderne Interpretation des Romeo und Julia-Themas vor. Die Idee war eine Übertragung in die Lower East Side New Yorks.Der südöstliche Teil Manhattans zwischen der Manhattan Bridge und der Williamsburg Bridge war nämlich das, was man gerne als Melting Pot, als Schmelz­tiegel bezeichnet. Ab 1820 besiedelten irisch-katholische Immigranten das Gebiet, ab 1855 kamen deutschsprachige Immigranten, viele von ihnen jüdischen Glaubens, später auch italienische und chinesische Einwanderer hinzu.¹

Als nach 1880 in einer weiteren Welle jüdische Einwanderer aus Osteuropa hinzukommen, verändern sich die Mehrheits­verhältnisse; Religionskonflikte führen zu Abgrenzung und Abschottung. Die East Side Story soll diese Konflikte the­matisieren und damit auch zurückdrängen. Aber Pathos und Betroffenheit sollen auf jeden Fall vermieden werden, daher kommt das formal sehr enge Korsett einer Oper nicht in Frage. Eher scheint das Musical dafür geeignet, das sich da schon seit einiger Zeit von einer Cabaret-haften Nummernshow zu einer ernsthaften Darstellungsform gewandelt hat. Mit Show Boat (1927), aber noch mehr South Pacific (1949), haben gesellschaftlich relevante Themen, die auf einer durchgehen­den Story aufbauen, Eingang auf die Musicalbühne gefunden.

1) Zu dieser Zeit entwickeln sich ethnische Stadtviertel, die »Kleindeutsch­land«, »Little Italy«, später auch »Chinatown« genannt werden.

Schnell ist ein Autor gefunden: Bernstein folgt dem Rat Rob­bins, den Schriftsteller, Regisseur und Drehbuchautor Arthur Laurents zu verpflichten. Schon imApril1949 liegen Entwürfe für die ersten vier Szenen vor. Doch das Projekt verzögert sich, da Bernstein andere Verpflichtungen und Projekte (u. a. Candide) hat. Laurents wiederum ist als Drehbuchautor in Hollywood und Autor am Broadway gefragt.²

2) 1948 schrieb Arthur Laurents z. B. das Drehbuch für Hitchcocks »Cock­tail für eine Leiche«; 1950 schuf er das Theaterstück »The Bird Cage« und gilt damit auch einer der geistigen Väter von »La cage aux folles«. Bei Jerry Hermans Musical führte er 1984 auch Regie und wurde dafür mit dem Tony ausgezeichnet.

Erst 1955 nimmt Bernstein die Arbeit an der Musical-Idee wieder auf. Mittlerweile scheint ihm der jüdisch-katholi­sche Konflikt aber zu altmodisch, zudem hat eine Flut von Einwanderern aus Puerto Rico ganz andere Konflikte her­aufbeschworen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren mehr als 100.000 Einwohner des Karibikstaates nach New York gekommen und hatten Gebiete wie Little Italy, aber auch andere Teile der Bronx oder Harlems übernommen und die ursprünglichen Bewohner verdrängt. Auf dem Höhepunkt der Diskriminierung kann man in vielen Restaurants Schilder mit der Aufschrift Keine Hunde oder Puertoricaner³ erlaubt finden.

3) »Immigration and Transformation on the Lower East Side« by Zakaila C. Gorham in: https://nyujournalismprojects.org

Bernstein, der sich in und mit seiner Musik politisch und gesellschaftlich engagiert, ersetzt den Religionskonflikt durch rivalisierende Jugendgangs und zeigt damit auch den verheerenden Einfluss der Diskriminierung auf die junge Generation. Zudem verlegt er den Schauplatz nach Westen, um zu zeigen, dass Konflikte wie dieser nicht auf einzelne Viertel beschränkt bleiben müssen. Das Musical wird noch vor der Fertigstellung in West Side Story umbenannt.
Die Befürchtung Bernsteins bewahrheitet sich nicht, aber als Vision kann sie durchaus bezeichnet werden. Als weite Teile der Lower East Side saniert oder - wie später das East Village - sogar gentrifiziert werden, entsteht eine neue puer­toricanische Neighbourhood, ein neues Viertel: zunächst in San Juan Hill (heute: Lincoln Center) und später im Bereich der U-Bahn-Station 157th Straße & Broadway. Und diese Gebiete gehören zur Upper West Side …

Matthias Gerschwitz

 

LEONARD BERNSTEIN

DER JAHRHUNDERTMUSIKER

Es klingt wie Jammern auf hohem Niveau – aber der Erfolg seiner »West Side Story« nervt Leonard Bernstein irgend­wann mehr, als dass er ihn freut. Bei jeder Gelegenheit wird er darauf angesprochen, ständig wird ihm gratuliert, alles wird an diesem Werk gemessen. Bernstein muss befürchten, dass seine anderen Kompositionen, seine anderen Leistun­gen gar nicht wahrgenommen werden. Doch so weit kommt es zum Glück nicht.

»Lenny« erblickt am 25.August 1918 als Louis Bernstein in Lawrence, Massachusetts das Licht der Welt. Angeblich soll ja die Heimat den Menschen prägen … und man mag das glauben oder nicht. Aber für Louis & Lawrence könnte es durchaus passen. Die 1840 gegründete Industriestadt ist ein großer Anziehungspunkt für Arbeitsuchende aus allen Teilen der Welt, vorrangig aus fast allen europäischen Ländern; in der sogenannten Immigrant City leben zeitweise mehr Ein­wanderer pro Einwohner als in jeder anderen vergleichbaren Stadt auf der Welt. Ist es da verwunderlich, dass der Sohn einer jüdischen Einwandererfamilie in seinem Leben stets das Verbindende, das Integrative, das Wertschätzende an die erste Stelle setzt?
Sein Vater hatte, aus einfachen Verhältnissen stammend, durch die Gründung einer Kosmetikfirma einen gewissen Wohl­stand erarbeitet. Die Mutter, ebenfalls russisch-jüdischen Ursprungs, kümmert sich um das oft kränkelnde Kind. Musik in jeder Form ist für den kleinen Louis eine erste große Freude, insbe­sondere, als er von seiner Tante ein gebrauchtes Kla­vier geschenkt bekommt. Doch sein Vater lehnt den Berufswunsch Pianist kate­gorisch ab und droht mit finanziellen Konsequen­zen. Mit einem überdurch­schnittlich guten Schulabschluss aber kann er seinen Wunsch in die Tat umsetzen. Neben Musik belegt er Vor­lesungen in Philosophie,Ästhetik, Literatur- und Sprachwis­senschaften – und verbringt dabei ›die glücklichste Zeit seines Lebens‹, wie er seine Studienzeit später einmal rückblickend bezeichnete.
Mit 16 Jahren ändert er seinen Vornamen in Leonard; so war er ohnehin schon seit frühester Kindheit gerufen worden. Im selben Jahr gibt er sein erstes öffentliches Klavierkonzert. Allerdings ist er immer wieder gezwungen,Geld zu verdienen … und macht aus der Not eine Tugend: Er spielt bei Hoch­zeiten und in Nachtclubs, schreibt Arrangements für eine Jazzband, gibt Musikunterricht und legt so den Grundstein zu einer ebenso außerordentlichen wie vielseitigen Karriere.1939 tritt er erstmals als Dirigent und Komponist in Erscheinung.
1943 vertritt er den erkrankten Bruno Wal­ter bei einem Konzert der New Yorker Philhar­moniker in der renom­mierten Carnegie Hall; von 1958 bis 1969 ist er der erste US-amerikani­sche Chefdirigent dieses Orchesters, das als eines der besten der Welt gilt. Daneben arbeitet er bis zu seinem Tod mit vielen anderen weltweit bekannten Klang­körpern, zum Beispiel als regelmäßiger Gastdirigent bei den Wiener Philharmonikern und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.
Seine ersten größeren Kompositionen sind Sinfonien, die sich aus seiner jüdischen Herkunft speisen. Die erste, Jere­miah, widmet er 1943 seinem Vater; die zweite, The Age of Anxiety, 1948 seinem russisch-amerikanischem Kollegen Serge Koussevitzky; die dritte, Kaddish, wird im Dezember 1963 im Gedenken an den kurz zuvor ermordeten US.-Prä­sidenten John F. Kennedy uraufgeführt. Bernsteins Themen sind nie beliebig, sondern immer von einer zumeist politi­schen Botschaft geprägt. Sein erstes Musical, On the Town, erscheint 1944 als Hommage an die im Krieg kämpfende US-Marine: Drei Matrosen wollen sich bei einem Landurlaub in New York amüsieren.
Bereits 1949 wird der Stoff mit Gene Kelly und Frank Sina­tra verfilmt, die Produzenten vertrauen aber offensicht­lich der musikalischen Durchschlagskraft von Bernsteins Songs nicht so recht und ersetzen sie durch Titel von Roger Edens und Lennie Hayton. 1953 folgt Wonderful Town als Liebeserklärung an New York. Candide (nach einem Buch von Voltaire) präsentiert sich 1956 als »eine launige Travestie traditioneller Opernelemente mit überdrehten Cancans, exal­tierten Koloraturen, zuckersüßen Duetten und überzeichneter Habanera-Sinnlichkeit«. 1)

Nur ein Jahr später folgt mit West Side Story sein wohl berühmtestes Werk, das sich mit dem Immigrationskon­flikt der Puertoricaner befasst und 1961 mit Natalie Wood und Richard Beymer verfilmt wird. »Schärfer gerät die Kritik Bernsteins, der sein Leben lang politisch Einspruch erhob, im weniger bekannten Musical ›1600 Pennsylvania Avenue‹, einem Kommentar zum Watergate-Skandal, und in der Oper ›A Quiet Place‹ (1984), einer Entlarvung des weißen, heterosexuellen US­Familienidylls.« 2)
1600 Pennsylvania Avenue ist allerdings ein veritabler Broadway-Flop, der schon bei der Voraufführung in Philadelphia durchfällt.1976, zur 200-Jahr-Feier der Ver­einigten Staaten, will das Publikum lieber etwas sehen, was die Größe der USA repräsentiert – und nicht etwas, das die inneren Probleme schmerzlich sichtbar macht. Bernstein selbst verbannt daraufhin das Werk zu seinen Lebzeiten aus der Öffentlichkeit.

1+2 »Grenzen sprengen mit einer Botschaft« von Eckhard Weber, 28. August 2018, concerti.de

Erst zu Ehren seines 90. Geburts­tags im Jahr 2008 wer­ den Teile als A White House Cantata wieder aufgeführt – aber aus der Idee, das ganze Musical wiederzubeleben, weil das Publikum nun besser die Intention Bernsteins verstehen würde, wird nichts Zählbares. »Die Musik ist umwerfend, aber das Buch hatte eine Menge Probleme«, wird Bernsteins Tochter Jamie zitiert.3) Dafür wagt sich Steven Spielberg 2021 an das filmische Remake von West Side Story.

3) »A Bernstein Musical Revived . in Part«, Kate Taylor, 11. März 2008 in The New York Sun

Das Gesamtwerk von Leonard Bernstein umfasst neben den genannten Sinfonien und Musicals noch viele andere Kom­positionen. Dazu gehört auch die Filmmusik zum 1954 ent­standenen Film Die Faust im Nacken, in dem Marlon Brando als gescheiterter Boxer einen der Verlierer des American Dream verkörpert. Zu den eher unbekannten Werken gehört La bonne cuisine (1948) . eine Sammlung gesungener Koch­rezepte. Entstanden ist der Liederzyklus durch einen Zufall: In einem angemieteten Haus findet Leonard Bernstein den gleichnamigen Kochbuchklassiker von Emile Dumont aus dem Jahr 1899. Er legt internationale Delikatessen von Plum­pudding, Queue de bœuf (Ochsenschwanz), Tavouk Gueunksis (türkische Süßspeise) bis Civet à toute vitesse (Kanin­cheneintopf) gewisserma­ßen in würzige Musik ein. Schon 1943 hatte er sein Metier ironisiert und mit dem Zyklus I Hate Music (Ich hasse Musik) auf die Beschwerden seiner Mitbewohnerin Edys Merrill reagiert, wenn sie mit diesem Ausruf das ständige Vorsingen von ambitionierten Sänger:innen in der gemeinsamen Wohnung beklagte. Als Icing on the Cake, als Sahnehäubchen, ist daher auch die vorangestellte Regieanweisung zu verstehen, dass bei der Aufführung dieser Lieder Zimperlichkeit eifrig zu ver­meiden sei.

Leonard Bernsteins größtes Interesse gilt der Vermittlung der musikalischen Idee an die Jugend. Zwischen 1958 und 1972 leitet er insgesamt 53 Konzerte im Rahmen der Fernsehserie Young People’s Concerts, davor hatte er bereits vier Jahre in der TV-Serie Omnibus musikalische Begriffe am praktischen Beispiel erläutert.1973 beauftragt ihn die renommierte Har­vard University mit einer Vorlesungsreihe über die Grund­lagen der Musik als andere Form der Linguistik. Bernstein nennt sie The Unanswered Questions . Die offenen Fragen.
Zu Deutschland hat Bernstein trotz seines jüdischen Ur­sprungs eine besondere Beziehung. Nachdem sich die meis­ten amerikanischen Künstler und Künstlerinnen nach der Reichskristallnacht 1938 und auch nach 1945 weigern, in Deutschland aufzutreten, dirigiert er sein erstes Konzert auf deutschem Boden am 9. Mai 1948. Nur einen Tag spä­ter spielt er mit 20 Holocaust-Überlebenden vor zehntau­send Lagerinsassen in den ehemaligen KZs von Feldafing und Landsberg. Sein erstes Konzert in Berlin gibt er am 1. Oktober 1959; es beginnt eine lebenslange Verbundenheit zur geteilten Stadt. Weihnachten 1989 – zehn Monate vor seinem Tod . tritt er das letzte Mal in Berlin auf. Auf Ein­ladung von Justus Frantz, mit dem er 1987 gemeinsam die
Internationale Orchesterakademie des Schleswig-Holstein Musik Festivals gegründet hatte, dirigiert er in der Philharmonie und im Konzerthaus am Gendarmenmarkt Beethovens 9. Sin­fonie. Aus Schillers Ode an die Freude macht er eine Ode an die Freiheit … kann es einen schöneren Götterfunken geben?
Leonard Bernstein hat im Laufe eines langen Musikerlebens unzählige Preise und Ehrungen erringen können. Sie alle mögen irgendwann in Vergessenheit geraten – die Musik aber bleibt.Als Bernstein am 14. Oktober 1990 stirbt, legen Freunde einen Taktstock, ein Stück Bernstein und die Par­titur von Gustav Mahlers 5. Sinfonie mit in den Sarg. Ausge­rechnet die Fünfte, von der Mahler 1905 nach einer weiteren erfolglosen Aufführung in Hamburg selbst sagte: »Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand capiert sie.« 4) Wirklich nie­mand? Doch . Leonard Bernstein tat es.

4) Tagebucheintrag. Zitiert nach: Karl-Josef Müller, Mahler – Leben, Werke, Dokumente, 293. In: Renate Ulm: Gustav Mahlers Symphonien, 153.


Matthias Gerschwitz


EINFACH GENIAL!

Der Regisseur Barrie Kosky gilt als wirkungsreicher Impuls­geber fürs Musiktheater. Als langjähriger Intendant der Ko­mischen Oper Berlin inszenierte er 2019 »West Side Story«. Im damaligen Programmheft äußerte er sich im Gespräch mit Johanna Wall auch zur musikalischen Seite  dieses Musical-Klassikers, Teile der Aussagen Koskys hier im Wortlaut:
»Das, was in New York, beginnend in den 192oer Jahren und dann bis hinein in die 195oer, passierte, hat eine enorme Ver­bindung zur deutsch-österreichischen Operettentradition.Die unterschiedlichen Kompositionsstile, die die aus Europa ins Exil geflüchteten Operettenkomponisten von Budapest über Wien, Berlin und Paris mit nach New York und auch nach Los Angeles brachten, sind der Spiegel einer reichhaltigen, musikalischen Diaspora. Die musikalische Landschaft des Broadways kommt im Grunde aus Budapest, Wien und Berlin.«
»Die ›West Side Story‹ gehört ganz in diese Tradition und das nicht nur, weil Leonard Bernstein Jude war: Diese narrative Form des Musicals, wie wir sie in der West Side Story finden, ist letztlich ein weiteres Kapitel in der Entwicklung der Ope­rette. Die ›West Side Story‹ ist eine ›tragic opera comique‹, in gewisser Weise Bizets ›Carmen‹ vergleichbar. Das Musical ist also eine ›new world version‹ von Operette und opera comique.«
»In Bernsteins Partitur finden sich atemberaubende jüdische Melodien. Manchmal hört man förmlich den Kantor in der Synagoge singen, man denke nur an die langen melancholi­schen Linien in ›Tonight‹. Da besteht eine starke Verbindung zur rituellen hebräisch-jüdischen Musik. Auf der anderen Seite findet sich hier
genauso die populäre jiddische Musiktradition – Klezmer, Vaudeville.›Gee, Officer Krupke‹ ist eine typisch jüdi­sche Vaudeville-Nummer.«
»Bernstein hat Melodien aus der jüdischen Synagoge und jid­dische Unterhaltungsmusik mit Latino-Rhythmen und New York Black Jazz kombiniert, dazu eine Orchestrierung in der Tradition der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts . Stra­winsky, Wagner, Mahler. Man hört Ives, Copland, man hört Ravel, man hört Puccini. Es ist eine unglaubliche Mischung. Einfach genial!«
»Kein anderes amerikanisches Musical weist eine derart reiche musikalische Landschaft auf. West Side Story hat die gleiche extreme Emotionalität wie Alban Bergs ›Wozzeck‹. Der Schmerz und die Sehnsucht und die Einsamkeit und die verklemmte Wut, die sich in ›Wozzeck‹ finden, stecken auch in der ›West Side Story‹.«
»Fast alle bekannten amerikanischen Musical-Komponisten und -Librettisten - außer Cole Porter - waren jüdisch: Irving Berlin, Richard Rodgers und Oscar Hammerstein, George und Ira Gershwin, AlanJay Lerner und Frederick Loewe, Harold Arlen, Stephen Sondheim, Bernstein - die Liste ist endlos.«

Abdruck dieser Aussagen von Barrie Kosky mit freundlicher Genehmigung der Komischen Oper Berlin.

 


BERNSTEIN: ICH SPÜRE RHYTHMEN

In Interviews und einem »Logbuch« zur Entstehung der West Side Story hat Leonard Bernstein die Gedanken und Diskus­sionen im Autorenteam zu ihrem Projekt publik gemacht.
»Das Ziel ist, ein Musical zu kreieren, das mit den Mitteln der Musical Comedy eine tragische Geschichte erzählt, wobei nur Techniken der Musical Comedy zum Einsatz kommen, ohne je in die ›Opern-Falle‹ zu tappen. Ob das gelingen kann? Bisher noch nie in diesem Land.« 1949

»Wir sind noch immer von der ›Romeo‹-Idee begeistert. Nur haben wir das ganze christlich-jüdische Problem aufgegeben: Es erscheint uns plötzlich altmodisch. Stattdessen ist uns etwas eingefallen, das meinem Gefühl nach den Nagel auf den Kopf trifft. Zwei Jugend-Banden, die eine kämpferi­sche Puertoricaner, die andere selbst ernannte ›echte‹ Ame­rikaner. Auf einmal habe ich alles sehr lebendig vor Augen. Ich spüre Rhythmen und ahne sogar schon die Form.« 1955

»Hauptproblem: den schmalen Grat zu treffen zwischen Oper und Broadway, zwischen Realismus und Poesie, Ballett und ›einfach tanzen‹, Abstraktion und Repräsentation.« 1956
»Wenn es funktioniert, wird es ein Meilenstein. Ein zukunfts­weisender Schritt in der Entwicklung der amerikanischen Musik.« 1957


»(ICH WÄR SO GERN IN) AMERIKA«

BETRACHTUNGEN ÜBER DEN AMERIKANISCHEN TRAUM

Er wurde viel zitiert und ist oft genug doch nur ein Lippenbe­kenntnis geblieben: der »American Dream«. Eigentlich ist er ganz einfach, weil er auf den ursprünglichsten Gefühlen des Menschen basiert: Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied – und jeder hat alle Chancen und jedes Recht dazu, dieses Glück auch zu verwirklichen. Ausdrücklich dieses Recht, »the pursuit of happiness«, ist mit der Unabhängigkeitserklärung seit 1776 in der amerikanischen Verfassung verbrieft.
Aber der amerikanische Traum ist immer ein abstrak­tes Gebilde geblieben. In der bald 250 Jahre dauernden Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika hat es nur ein einziger Mensch jemals gewagt, einen konkre­ten Traum öffentlich auszusprechen: Mit I have a dream appellierte Martin Luther King am 28. August 1963 an die gesamte amerikanische Nation, die Inhalte der Unabhän­gigkeitserklärung von 1776 wie auch die der Proklamation der Regierung Abraham Lincolns von 1862 zur Abschaffung der Sklaverei endgültig für ausnahmslos alle Amerikaner in die Tat umzusetzen . bis heute unerfüllt. 1)

1) »Wenn wir die Freiheit erschallen lassen — wenn wir sie erschal­len lassen von jeder Stadt und jedem Weiler, von jedem Staat und jeder Großstadt, dann werden wir den Tag beschleunigen können, an dem alle Kinder Gottes — schwarze und weiße Menschen, Juden und Heiden, Pro­testanten und Katholiken — sich die Hände reichen und die Worte des alten Negro Spiritual singen können: ›Endlich frei! Endlich frei! Großer allmächtiger Gott, wir sind endlich frei!‹« (Martin Luther King)

Was ist der »amerikanische Traum« überhaupt? Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägte Begriff umreißt die idealistischen Gründungsmythen der Vereinigten Staaten, wonach dort allen Menschen persönliche Freiheit und die Chance auf ein erfolgreiches Leben winken solle. Für viele heutige US-Amerikaner gehört dazu auch die weltpolitische Dominanz und wirtschaftliche Überlegenheit ihres Landes, für die meisten Einwanderer bedeutet er schlicht immer noch die Hoffnung auf ein besseres Leben.
Unabhängig davon, wer man ist, woher man stammt und welches Ziel man vor Augen hat, sei im Land der unbe­grenzten Möglichkeiten ein Aufstieg zum american way of life möglich. Definiert und vor allem sichtbar wird das Traum­versprechen in einer kapitalistisch orientierten Gesell­schaft durch die Verbesserung des Lebensstandards. 2) Nach dem Zweiten Weltkrieg wächst der Wohlstand für die Masse der weißen Mittelschicht in den USA enorm, mit weltweit ausstrahlenden Verheißungen für Konsum und Statussymbole wie Autos, Fernseher, Urlaubsreisen. Die Geschichte vom Tellerwäscher, der zum Millionär wird, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der USA . wenn auch tatsächlich fast nur durch die Geschichte der weißen Mittel- und besonders der Oberschicht.
Für manche Mitglieder dieser Schichten ist es allerdings unvorstellbar, dass ein Nichtweißer zum Millionär oder Präsident wird. Sollte es doch der Fall sein, kann es sich nicht um einen Amerikaner im weißen Sinne handeln. Die Diskussion über die Staatsbürgerschaft Barack Obamas, der im Januar 2009 tatsächlich der erste afroamerikani­sche Präsident der Vereinigten Staaten wurde, legt beredt Zeugnis dieser Haltung ab. Dabei wird gerne übersehen, dass auch jeder weiße Amerikaner ein Nachfahre von Ein­wanderern ist. Die Bündelung von Wissen und Leistung, von unterschiedlichen Fähigkeiten und Abstammungen, ein Miteinander statt Gegeneinander; ein Sich-immer-wieder­neu-erfinden-können; das Aufstehen nach dem Hinfallen, das ›Sich-nicht-beirren-lassen‹: Das ist die eigentliche Stärke der Nation. Zumindest war das mal der Plan.

2) Bestes Beispiel dafür ist der Begriff »Keep up with the Joneses«, der Ver­gleich mit dem Nachbarn als Maßstab für die soziale Klasse. Er basiert auf den Memoiren eines Bahnhofsvorstehers des amerikanischen Schriftsteller EJ Simmons (1879), wird aber von Mark Twain in seinem 1901 geschriebenen, aber erst 1923 veröffentlichten Aufsatz »Corn Pone Opinions« erstmalig als Anspielung auf soziale Sitten verwendet.

West Side Story setzt der Gesellschaft einen Spiegel des amerikanischen Traums vor. Aus der ursprünglich geplanten Geschichte um eine jüdische und eine irisch-katholische Familie, der man noch die Verwandtschaft zu Shakespeares Romeo und Julia anmerkt, destillieren Arthur Laurents (Buch), Stephen Sondheim (Songtexte) und Leo­nard Bernstein (Musik) eine Ende der 1950er Jahre hochak­tuelle Auseinandersetzung zwischen US-amerikanischen und puertoricanischen Jugendlichen. Aus einer kiezmäßig ›horizontalen Feindschaft‹ auf Augenhöhe, deren soziokul­turelle Bedingtheit völlig in den Hintergrund getreten ist, wird ein gesellschaftlich vertikaler Konflikt, der sich aus der Festschreibung unterschiedlicher sozialer Stellungen speist. Und damit die Idee der ›sozialen Mobilität‹ ad absur­dum führt.
Puerto Rico steht hierbei für eine ungeklärte politische und völkerrechtliche Situation: Seit 1898 beanspruchen die Vereinigten Staaten den territorialen Besitz, gewähren den überwiegend Spanisch sprechenden Einwohnern aber außer der Staatsbürgerschaft nur rudimentäre Grundrechte. Nach 1945 plant die Washingtoner Regierung, Puerto Rico zu einem kapitalistischen Musterstaat in der Karibik zu ent­wickeln, aber das misslingt gründlich und führt zu einem Strom von Einwandern, die sich bevorzugt in New York niederlassen.
Das wiederum schürt Ängste in der dort bereits in zweiter und dritter Generation ansässigen Einwohnerschaft mit europäischen Wurzeln. Fremdenfeindlichkeit greift um sich, den Puertoricaner:innen wird . wieso kommt uns das irgendwie bekannt vor? – Einwanderung in die Sozial­systeme, Verbreitung von Krankheiten und die Entstehung von Slums vorgeworfen. ›Ausländer nehmen den Einheimi­schen Arbeitsplätze und Entwicklungsmöglichkeiten weg‹, ist auch der mediale Tenor der Konflikte, obwohl gerade die Puertoricaner keine Ausländer, sondern US-Staatsbürger sind . aber eben nur Staatsbürger zweiter Klasse, für die der amerikanische Traum nicht gelten soll. Auch darauf nimmt West Side Story Bezug: »Ein Immigrant in Amerika ist keine Schand' in Amerika; denn jeder fand in Amerika sein Heimatland in Amerika.«
Der Historiker und Kolumnist Simon Kuper, der 1980 mit seinen Eltern von den Niederlanden nach Kalifornien aus­wanderte, wird am 22. November 2018 in der Neuen Züricher Zeitung zitiert: »Der [amerikanische] Traum war grundlegend materialistisch, erzeugte oft übertriebene Erwartungen und brachte zwangsläufig auch Verlierer hervor. Das hat ihn bei hochkarätigen Schriftstellern in Verruf gebracht. In der Nachkriegsliteratur haben vorab gescheiterte ehemalige High-School-Spitzensportler den ausgeträumten amerikanischen Traum verkörpert: Brick Pollitt in Tennessee Williams' ›Die Katze auf dem heissen Blechdach‹ […] oder Biff Loman in Arthur Millers ›Tod eines Handlungsreisenden‹. Ganz ähnliche Typen waren die ehemaligen Boxer, die Marlon Brando in ›Endstation Sehnsucht‹ und in ›Die Faust im Nacken‹ gespielt hat.« 3)

3) »Der amerikanische Traum ist tot – der Tellerwäscher bleibt Telle­wäscher« – Gastkommentar von Simon Kuper, NZZ vom 22.11.2018

Die Anzahl der Verlierer ist seit der Regierungsübernahme Ronald Reagans 1981 stetig gestiegen. Der Autor David Leonhardt rechnet unter Verweis auf aktuelle Studien in seinem Buch Ours Was the Shining Future vor, dass die Über­zeugung, der nachfolgenden Generation werde es besser gehen, nur noch von gut einem Drittel der Bevölkerung geteilt werde. Zum Vergleich: 1952 waren noch 87 Prozent der Befragten dieser Hoffnung.
Den amerikanischen Traum gibt es zwar immer noch, aber nur noch Eliten können ihn aussichtsreich realisieren. Die meisten Amerikaner . egal welcher Ethnie – arbeiten heute hart und kommen trotzdem kaum vom Fleck. »Ihr Leben gleicht einem Kleinunternehmen, das stets kurz vor dem Konkurs steht«, schreibt Kuper weiter. Die USA sind »eine von Erben beherrschte Gesellschaft geworden […] von denen viele nie einen einzigen Cent selber verdient haben.«
Die politischen Folgen dieser Desillusionierung spalten spätestens seit der Finanzkrise 2008 die amerikanische Gesellschaft in Profiteure und Abgehängte. Da kann es nicht verwundern, dass 2016 und 2024 ein Erbe zum Präsidenten gewählt wird, der den Besitz seiner Millio­närsschicht mit Zähnen und Klauen verteidigt, dabei aber immer vorgibt, der Präsident aller Amerikaner und Retter des American Dream zu sein. Dabei hatte er schon 2015 behauptet, dass der amerikanische Traum leider tot sei. 4) Allerdings nicht für ihn und seinesgleichen . also das Gegenteil dessen, was die Gründungsväter für die USA im Sinn hatten.
Wenn West Side Story dem amerikanischen Traum in seiner Grundkonzeption auch heute noch Impulse geben kann, dann ist es durch die Musik. Die verfeindeten Gruppen werden durch unterschiedliche Musikstile charakterisiert: Jazz trifft auf Mambo. Man kann die Musik kombinieren, verflechten, vereinen - so entsteht etwas Neues, Schönes, Einzigartiges. Ein traumhaft klingendes Hoffnungsver­sprechen.

4) »Schon als Trump 2015, zu Beginn seiner Präsidentschaftskandidatur, die goldene Rolltreppe im Trump Tower herunterfuhr, stellte er klar: ›Der amerikanische Traum ist leider tot.‹ - Simon Kuper, NZZ vom 22.11.2018

Matthias Gerschwitz

 

VON DER FEUERLEITER IN DEN CENTRAL PARK

Wie bringt man für das Musical West Side Story eine typische New-York-Szenerie auf die naturgrün umrahmte Eutiner See­bühne? Diese Aufgabe musste Bühnenbildner Jörg Bromba­cher lösen – im Interview erläutert er seine Überlegungen.

An welchem Theater haben Sie eventuell schon einmal das Büh­nenbild für »West Side Story« entworfen?

Tatsächlich hatte ich bisher noch nicht das Vergnügen ,ein Bühnenbild für die West Side Story zu entwerfen. Jedoch konnte ich schon viele verschiedene Produktionen anschauen, vom kleinen Stadttheater bis hin zum großen Staatstheater, wo die Inszenierungen immer in Hinterhöfen New York's mit Gitterzäunen und Feuertreppen verortet waren.

Wie schmerzlich oder reizvoll war es für Sie, für die Inszenierung in Eutin auf die ikonische Szenerie New Yorks mit Straßenschluch­ten und Feuertreppen an den Fassaden zu verzichten?

Das war gar nicht schmerzlich, sondern wirklich reizvoll und herausfordernd, im Eutiner Schlossgarten mit dem vorhande­nen grünen Hügel im Hintergrund der Bühne als wesentliches Bühnenbild-Merkmal zu arbeiten. Grundsätzlich wäre es sowieso fatal, Häuserschluchten New York's auf die Bühne zu bauen und als Bühnenbildner zu glauben, die vorhandene Natur im Schlossgarten damit verstecken zu können.

Wie kamen Sie auf die Idee, die Handlung ins Grüne des Central Parks zu verlegen?

Da der Verlag für den Erhalt der Aufführungsrechte den Veranstaltern vorschreibt, das Musical im New York der 50er/60er Jahre anzusiedeln, lag es für mich nahe, die Sze­nerie in den Central Park zu legen. Bei meinen Recherchen bin ich auf Fotomaterial von der Bethesda Terrace und mit der im Vordergrund stehenden Bethesda Fountain gestoßen. Auch liegt dieser Platz mit seinem Arkadengang im Central Park am The Lake, so wie die neue Festspielbühne am Eutiner See. In meinem Bühnenbildentwurf sind aber die Arkaden mit den beiden großen Treppen, sowie der Brunnen mit dem Friedensengel nicht im schönen Sandsteinflair des Original­schauplatzes gestaltet, sondern alles ist viel verwahrloster und abgerockter, ein Lost-Place mit verrostetem Brunnen und Gerüsten. Eine in sich geschlossene, eigene Welt, in der Jets und Sharks,die beiden Gangs,nebeneinander existieren.

Welche Rolle spielt das Wetter bei Ihrer Bühnenplanung?

Natürlich sind die Eutiner Festspiele eine komplette Outdoor-Veranstaltung, für alle Beteiligten auf und hinter der Bühne ebenso wie auch für die Zuschauer. Bei der Entwicklung der Ideen für die Bühnenbilder spielen die Wetterbedingungen zuerst einmal keine Rolle,jedoch bei der technischen Umset­zung beinflussen Regen, Wind und Sonne naturgemäß die Wahl der Baumaterialien und deren technischen Konstruk­tionen sowie die Farbgestaltung und Farboberflächen, auch die Verwendung von Vorhängen und großen Tüchern. Das muss alles stabil sein, bestandsfest auch bei Sturmböen und Platzregen.Aber es darf auch nicht zu schwer sein,damit beim schnellen Um- und Abbau die Bühnenarbeiter und gelegent­lich auch die DarstellerInnen nicht alle mit Riesenkräften zu Werke gehen müssen.

Welche Szene, welche Melodie in diesem Musical finden Sie besonders bewegend?

Da fällt es mir schwer, nein, es ist mir sogar überhaupt nicht möglich,einen besonderen Moment aus diesem Meisterwerk des Musiktheaters zu isolieren. Bewegend ist die gesamte, zeitlose Romeo und Julia Story mit den unglaublichen großen Choreografien und der fantastischen Musik Leonard Bern­steins.

Sie arbeiten seit 2019 für die Eutiner Festspiele. Sind Sie mit deren Entwicklung zufrieden, oder was muss hier noch verbessert werden?

Verbessert kann immer was werden, aber die Entwicklung mit den stets steigenden Besucherzahlen, geben dem gesamten Leitungsteam recht, mit der Stückauswahl, den engagierten SängerInnen und DarstellerInnen, den Regieteams und der damit zunehmenden Professionalisierung hinter der Bühne auf dem richtigen Weg zu sein, große Sommerfestspiele im Norden Deutschlands zu etablieren.

 

DIE TRAGÖDIE OHNE BALKON

Wer schon einmal in Verona zu Gast war, hat sicherlich auch der Casa di Giulietta in der Via Capello 23 seine Aufwartung gemacht. 1) Dort ist laut Stadtführer nicht nur die Residenz der Familie Capulet zu finden; dort kann man auch jenen Balkon bewundern, auf dem Julia, die Tochter des Hauses, mit Romeo Montague (eigentlich: »Montecchi«) über die hei­mische Vogelwelt gesprochen haben soll.
Ob es nun die Nachtigall oder die Lerche war, sei dahingestellt. Tatsache ist: Hier kann Julia niemals gestanden haben, denn es handelt es sich bei dem »Balkon« um einen Sarkophag aus dem 14. Jahrhundert, der erst in den 1930er Jahren an das ursprüngliche Stallgebäude angebaut wurde. Auch eine Familie Capulet hat dort nie gelebt. Die langjährigen Besitzer des im 12. Jahrhundert erbauten Anwesens hießen Dal Capello
– wahrscheinlich wurde daher die Straße nach ihnen benannt. Hier war also wohl eher der Wunsch der Vater des Gedan­kens, gefördert durch einen Übertragungsfehler (Capello vs. Capulet) oder (vielleicht auch und) die Geschäftstüchtigkeit der Veroneser Touristikbehörde. Ein Wohnhaus der Familie Montecchi dagegen existiert tatsächlich, allerdings ist es kein so großer Touristenmagnet. Dabei liegt es nicht einmal all zu weit von der Via Capello entfernt.
Trotzdem sind Romeo und Julia zum Inbegriff des bekanntesten und dazu noch tragischsten Liebespaares der Welt geworden.

1) »Die nackte Brust«, in: »Pizza Panorama«, Matthias Gerschwitz (Norderstedt 2014)

William Shakespeare, einer der bedeutendsten englischen Literaten, hat den Stoff zu Weltruhm geführt, auch wenn er ihn selbst nur aufgegriffen hat. Denn wenn man tiefer in die Literaturgeschichte ein­steigt, heißen die Protagonis­ten nicht immer Romeo und
Julia. Daher dürfen sie in der West Side Story auch Tony und Maria heißen, ohne den Stoff, aus dem die Liebesträume sind, zu verraten.
Die erste unglückliche Liebe entstammt der griechischen Mythologie und besteht der Überlieferung aus dem 1. Jahr­hundert vor Christus zufolge zwischen Hero und Leander. Letzterer muss den Hellespont durchschwimmen, um zu seiner Geliebten zu gelangen; sie weist ihm mit einer Fackel den Weg. Doch ein Sturm löscht das Feuer, Leander verirrt sich und ertrinkt.Als Hero den an Land gespülten Leichnam entdeckt, stürzt sie sich zu Tode.
Zwei Jahrhunderte später schildert der römische Dichter Ovid (eigentlich Publius Ovidius Naso) in der Sage Pyramus und Thisbe die Geschichte zweier Liebender, die sich aufgrund der Feindschaft ihrer Eltern nicht sehen dürfen.
Sie leben in benachbarten Häusern und können sich nur durch einen Spalt in der trennenden Mauer ihrer Liebe ver­sichern. Als es doch einmal zu einer Verabredung kommen soll, glaubt Pyramus irrtümlich, Thisbe sei von einer Löwin zerfetzt worden, und begeht Selbstmord.Als Thisbe den toten Geliebten findet, folgt sie ihm in das Schwert.
Jahrhunderte später entsinnt man sich wieder der Geschichte der Königskinder, 2) die nicht zueinander finden:  Die Sage von Tristan und Isolde entsteht. Auch wenn der Liebe hier mit Hilfe eines berauschenden Tranks nachgeholfen wird – Tristan stirbt, und Isolde folgt ihm in den Liebestod. Im späteren Mittelalter, um 1350, verwendet Giovanni Boccaccio den Stoff der unglücklichen Liebe in seiner Sammlung Decamerone, der italienische Schriftsteller Masuccio Salernitano greift das Thema 1476 in seinen Novellen auf, der spanische Literat Fernando de Rojas 1499 in La Celestina.
Premiere feiern die Figuren Romeo und Giulietta sowie Verona als Ort der Handlung in Luigi da Portos Hystoria novellamente ritrovata di due nobili amanti (Neu geschriebene Geschichte von zwei noblen Liebenden) aus dem Jahr 1524 oder 1530. 3) Matteo Bandello bearbeitet die Novelle unter dem Titel den Über den tragischen Tod zweier unglücklicher Liebender 1554, der französische Dichter Pierre Boaistuau veröffentlicht sie 1559 als Von zwei Liebenden, von denen der eine an Gift, der andere an Traurigkeit starb.1562 dient sie Arthur Brooke als Vorlage (The Tragicall Historye of Romeus and Juliet), 1567 übersetzt William Painter sie unter dem Titel Goodly history of the true and constant love between Romeus and Julietta: Romeo and Juliet. 1595 schließlich veröffentlicht William Shakespeare sein Drama The Most Excellent and Lamentable Tragedy of Romeo and Juliet, das auf Matteo Bandello und Arthur Brooke zurückzuführen ist.

2) Das Volkslied »Es waren zwei Königskinder … das Wasser war viel zu tief« basiert auf der Sage von Hero und Leander.
3) Die Quellenlage ist nicht eindeutig.

1597 wird das Werk uraufgeführt; Shakespeares übernimmt die Deutungshoheit des Stoffes. Denn erst er beschreibt die Hauptpersonen als tragische Opfer ihrer Lebensumstände, für die Leser:innen bzw. Theaterzuschauer:innen Sympathien entwickeln können. Zuvor werden die Liebenden als betrogene Betrüger dargestellt oder, wie bei Tristan und Isolde, zumin­dest als »schicklich« Schuldige; sie werden ja nicht Opfer ihrer verbotenen Leidenschaft, sondern eines berauschenden Tranks – und erhalten daher mildernde Umstände.
Shakespeares Romeo und Julia gilt in seiner Zeit als »lebens­echt«; nicht Götter oder Naturgewalten suchen die Liebe zu unterdrücken, sondern eine blutige Fehde zweier gleichran­giger Familien. Heute gäbe es einen Shitstorm: Shakespeare untergräbt den Wert der Familie, würde so manches konser­vative Blatt nach der Premiere titeln . die verantwortli­chen Redakteure hätten im Zweifelsfall keinerlei Kenntnis vom Ursprung des Stoffes.Aber was wäre passiert, wenn die heimliche Ehe zwischen Romeo und Julia Bestand von den Familien anerkannt worden wäre? Das beschreibt Ephraim Kishon 1974 in seinem Theaterstück Es war die Lerche: Fast 30 Jahre dauert nun die Ehe schon, die Leidenschaft ist ver­glüht, die pubertierende Tochter Lucretia beschuldigt die Eltern, von Liebe keine Ahnung zu haben. Shakespeare selbst muss auferstehen, um entsetzt festzustellen, dass aus seinem Liebesdrama ein Possenspiel geworden ist. Spätestens jetzt versteht man, wenn Kurt Tucholsky schreibt: »Es wird nach einem happy end im Film jewöhnlich abjeblendt«... 4)

4) »Danach«, in Kurt Tucholsky: »Zwischen Gestern und Morgen« (1930)

Eine moderne Fassung nach klassischem Vorbild liefert Gott­fried Keller1875 in Romeo und Julia auf dem Dorfe, dabei basiert sie auf einer Zeitungsnotiz aus dem September 1847 über den Selbstmord der Kinder zweier verfeindeter Bauern. Im Gegensatz zu Shakespeare beschreibt Keller aber den Grund für die Feindschaft der Bauern; damit wird der Konflikt zwar greifbar, aber die Ohnmacht der Kinder über seine Unlösbar­keit ebenfalls.

Neben einigen weiteren literarischen Umsetzungen des Stof­fes sind sechzehn Opern beispielsweise Musicals überliefert, die sich der Romeo und Julia-Thematik annehmen. Neben Vincenzo Bellini (I Capuleti e i Montecchi, 1830) und Charles Gounod (Roméo et Juliette,1867) sind die deutschen Umset­zungen der 40er Jahre interessant: Heinrich Sutermeister schreibt eine spätromantische Version, die 1940 von Karl Böhm mit großem Orchester und ebensolchem Erfolg an der Dresdner Semperoper präsentiert wird. Boris Blacher . ein im Nationalsozialismus eigentlich hofierter zeitgenössischer Komponist, bis er 1939 wegen Unterstützung des Kollegen Hindemith und seiner »entarteten Musik« ins Abseits gerät . paraphrasiert 1943 Sutermeisters Vorlage mit Ironie und intellektueller Distanz als Kammeroper in kabarettistischer Kleinkunst-Manier . mitten im Krieg eröffnet eine Diseuse das geschehen! 5) Allerdings kann sie das erst 1950, als Bla­chers Werk bei den Salzburger Festspielen gemeinsam mit Benjamin Brittens The Rape of Lucretia uraufgeführt wird.

5) »Neubetrachtung auf Nebenspielstätte«. Bernhard Doppler im Deutschlandfunk (5. April 2016)

Die tragische Liebesgeschichte eignet sich auch als Film­stoff. Seit 1900 sind über dreißig Verfilmungen bekannt, von denen Ernst Lubitschs Groteske Romeo und Julia im Schnee aus dem Jahr 1920 die sicherlich ungewöhnlichste Umset­zung ist: Die Handlung wird in den Schwarzwald verlegt, wo sich Herr Capulethofer und Herr Montekugerl befehden, was die Liebe ihrer Kinder zueinander bekanntermaßen hindert. Aber Lubitsch ist Lubitsch, und so stellen sich Romeo und Julia nur tot, um am Ende doch noch zu heiraten. Wie das ausgegangen wäre? Schlag nach bei Kishon …5
Und so ist es Leonard Bernsteins West Side Story, die mit durchschlagendem Erfolg die tragische Geschichte einer unglücklichen Liebe 1957 in die aktuelle Zeit und ihre Pro­bleme übersetzt und damit erstmals auch politisch auflädt.
Und dafür braucht es keinen Balkon.

Matthias Gerschwitz


STRENGE REGELN FÜR WEST SIDE STORY

Zweimal hatten die Festspiele bereits die Erlaubnis, die ur­heberrechtlich geschützte West Side Story zeigen zu dürfen. Doch 2020 kam ihnen die Pandemie, 2023 der Neubau der Tribüne in die Quere. Was das Recht bedeutet, Bernsteins Meisterwerk auf die Seebühne zu bringen, erläutert Produk­tionsleiter Marcel Landgrebe.

Wie schwierig war es, die Rechte für die Inszenierung von »West Side Story« für 2025 in Eutin zu erhalten?

Grundsätzlich war und ist es nicht schwer, die Rechte für die West Side Story zu bekommen, wenn man sich rechtzeitig genug im Voraus darum bemüht. Belegbar ist die recht hohe Anzahl an Inszenierungen dieses Musicals in diesem und vorigem Jahr im deutschsprachigen Raum mit fünf bis sechs Versionen in Deutschland und Österreich. Ich selber war überrascht, dass die Rechteinhaber so viele Lizenzen gleich­zeitig rausgegeben haben, das ist nicht unbedingt so üblich.

Darf man erfahren, wie teuer das war und wer kassiert?

Es handelt sich in der Regel um einen prozentualen Anteil der Ticketerlöse, den der Lizenzgeber verlangt. Der genaue Preis wird am Ende der Spielzeit ermittelt und an den Verlag bzw. den Lizenzgeber bezahlt. Im Falle der West Side Story zahlen wir den Betrag an den Verlag Musik und Bühne, der dann den Lizenzgebern, den Erben Bernstein und den Erben Robbins, ihren Anteil zukommen lässt. Erfahrungsgemäß liegt bei Festspielen dieser zu zahlende Anteil oft recht hoch bei rund 15 Prozent der Karteneinnahmen.

Warum werden hier neben den Sprechpartien auch die Songs in Deutsch erklingen?

Das wird neuerdings vom Lizenzgeber so vorgegeben. Nach­dem einige Inszenierungen im deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahren zweisprachig aufgeführt wurden (Dialoge auf Deutsch, Songs auf Englisch), es wohl aber bei den Songs in englischer Sprache an der sprachlichen Ver­ständlichkeit gehapert hat und es dadurch schwerer war, der Handlung zu folgen, hat der Lizenzgeber festgelegt, dass es nun im gesamten deutschsprachigen Raum ausschließlich auf Deutsch inszeniert werden darf.

Gibt es Auflagen für die Inszenierung, zum Beispiel für Bühnen­bild, Kostüme und Rollenbesetzung?

Ja, im Falle der West Side Story  gibt es verhältnismäßig viele
Vorgaben:

  • Der Ort des Geschehens muss in New York sein.
  • Das Kostümdesign muss in der damaligen Zeit verortet sein.
  • Die Besetzung der Hauptrollen müssen durch den Lizenzgeber genehmigt werden.
  • Das Kreativteam (Regie, Choreografie, musikalische Leitung sowie Bühnendesign) bedarf ebenfalls einer  Freigabe durch den Lizenzgeber.

Mannomann, dass ist ja eine ganze Menge, oder gibt es noch mehr?

Das Konzept, die Entwürfe und die Lebensläufe des Regie­teams müssen ins Englische übersetzt werden und gehen dann über den Verlag in Deutschland weiter in die USA. Erst wenn von dort alle Freigaben erteilt werden, kann man die nächsten Schritte einleiten und die Kolleginnen und Kollegen unter Vertrag nehmen.
Spielten bei der Auswahl des Ensembles auch die deutsche Sprach­fertigkeit eine Rolle?
Auch. Bei einer Show der West Side Story liegt der Fokus aber erstmal auf den Fähigkeiten Gesang, Tanz und Schauspiel, den Dingen, für die man eine jahrelange Ausbildung benötigt. Das Skript und die Songs in einer anderen Sprache lernt man grundsätzlich schneller.

Was hätten Sie in Eutin abweichend von den Auflagen gern anders gestaltet?

Dass wir die Songs nicht in englischer Sprache singen dürfen, finde ich schade, da die originalen Texte sehr poetisch und auch sehr passend auf der Musik liegen. An der West Side Story sehe ich persönlich ansonsten keinen Bedarf, Dinge zu verändern. Es ist ein zeitloses Werk und daher sicher auch einer der Gründe, warum es seit Jahrzehnten immer wieder rund um die Welt inszeniert wird.

Hartmut Buhmann


PERÜCKEN UND GEGLÄTTETES HAAR

Afro-Haar ist mehr als ein Styling-Thema – es ist Ausdruck von Identität, Geschichte und Widerstand. Was heute auf der Bühne als Perücke erscheint, trägt Spuren eines schmerzhaf­ten Erbes: der Sklaverei, rassistischer Schönheitsnormen und dem Kampf um Selbstbestimmung.
In den Gründungszeiten der USA wurden Men­schen als Sklaven systematisch unterdrückt und misshandelt. Neben körperlicher Gewalt und Entwürdigung spielte das Haar eine beson­dere Rolle in der Unterdrückung. In vielen Fällen wurden versklavten Frauen die Haare abrasiert . weltweit seit jeher ein Akt der Demütigung und Entmenschlichung. Natürliches Afro-Haar wurde von weißen Sklavenhaltern oft als »wild« oder »unge­pflegt« angesehen, und das Abschneiden der Haare war eine Methode, um Kontrolle auszuüben und kulturelle Identität zu zerstören.
Rassistische Schönheitsstandards beeinflussen noch immer die Wahrnehmung von Afro-Haar und Identität. Viele muss­ten sich über Generationen hinweg anpassen, um gesell­schaftlich akzeptiert zu werden . sei es durch das Glätten der Haare oder das Tragen von Perücken. Perücken in diesem Stück sind also nicht nur ein ästhetisches Element, sondern auch ein Symbol für Geschichte, Widerstand und Selbstbe­stimmung. Sie erzählen Geschichten von Anpassung, Stolz und kultureller Wiederaneignung. Till Kleine-Möller

 

Hinweis: Die historischen Texte und Abbildungen dieser Rückschau (bis in die 1950er Jahre) stammen aus den jeweiligen Programmheften und Fotosammlungen und spiegeln ihre Zeit. Sie könnten Begriffe und Darstellungen enthalten, die heute als diskriminierend oder unangemessen gelten. Die Eutiner Festspiele distanzieren sich daher ausdrücklich von solchen Inhalten. Auch die Erwähnung teils umstrittener Persönlichkeiten erfolgt ausschließlich im historischen Zusammenhang. Der digitale Rückblick soll Geschichte transparent machen und zur kritischen Auseinandersetzung mit Sprache, Haltung und Zeitgeschehen anregen. Wo erforderlich, ergänzen wir erläuternde Hinweise. Hinweise auf sachliche Fehler oder notwendige Kontexte nehmen wir gerne unter entgegen.