
: Die ersten Weber-Festspiele
Zum 125. Todestag von Carl Maria von Weber
Informationen zur Spielzeit 1951
(04.06.1951 - 16.06.1951)Programm
Programm 1951
Im Jahr 1951 wurden folgende Inszenierungen präsentiert:

Der Freischütz
„Der Freischütz“ beginnt mit einem farbenprächtigen Bild. Jubelnd kommt das feiernde Volk vom Hügel herab. Der reiche Bauer Kilian ist Schützenkönig geworden, aber Max, Jägerbursche des Erbförsters Kuno und mit dessen Tochter Agathe verlobt, schoss schlecht, ist darob verdrießlich und wird gehänselt.
Fotogalerie
Die Fotogalerie zeigt 6 Bilder, die während der Spielzeit 1951 entstanden sind.
Zum Vergrößern der Fotos klicken Sie diese bitte an.
Die nachfolgenden 11 Bilder wurden im Programmheft dieser Spielzeit veröffentlicht.
Spielzeitheft 1951
Carl Maria von Weber und Eutin
von Bruno Schönfeldt
Alfred Burkhardt Verlag, Eutin
Einführung: Eutin als Musenstadt
Die Geschichte zog wirre dynastische Grenzen durch das deutsche Land. Wohl hemmten sie in Jahrhunderten das Streben nach der deutschen Einheit; aber im edlen Bemühen der Landesherren wurden viele Fürstensitze wertvolle Brunnenstuben geistigen Lebens. Zu ihnen gehört auch Eutin.
In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde die kleine Stadt im Schmuck und Schutz der Seen mehr und mehr zum Sitz der Lübecker Bischöfe. Seit 1586 regierten hier Bischöfe aus dem Hause Holstein-Gottorp. Denn aus dem geistlichen „Bistum Lübeck“ war ein weltliches Hoheitsgebiet geworden, dessen Herren sich daher „Fürstbischöfe“ nannten.
Sie bauten das schlicht-schöne Schloss ihrer Residenz Eutin Ende des 17. Jahrhunderts. Nur wenig wurde seither an seiner Gestalt geändert. 1773/76 fiel den Fürstbischöfen durch Anspruchs- und Ländertausch das neu gebildete Herzogtum Oldenburg hinter der Weser zu. Aber das kleine Eutin mit seinen rund 2000 Einwohnern blieb zunächst noch ihre Residenz – und als solche ein Pfleg-Ort der Kunst und Wissenschaft.
Gelehrten und Dichtern, um den Hof geschart, verdankt Eutin seine Glanzzeit der 50 Jahre um 1800. Gewiss gehören die meisten ihrer Werke mehr der Literaturgeschichte als der Gegenwart an; damals aber schaute die gebildete Welt gar aufmerksam, gespannt her in die kleine Residenz.
Die Muse der Musik zog nicht so zwingend die Blicke hierher, obwohl um die Mitte des 18. Jahrhunderts am Eutiner Hof auch überdurchschnittliche Musici wirkten. Dennoch hatte die Muse der „holden Kunst“ gerade dieses Städtchen in „romantischer“ Landschaft mit ihren Wäldern, Seen und Hügeln ausersehen, daß hier ein Künstler der Romantik zur Welt käme, Carl Maria von Weber. Nicht war es ihm belimmt, hier direkt zu wirken, aber in unsterblichen Werken seiner Kunst sollte die Anmut seiner Geburtsheimat anklingen.
Die Familie Weber in Eutin
Franz Anton von Weber: Ein unstetes Leben
Im Eutiner Schlossgarten, der sich um eine Bucht des Sees schmiegt, steht nahe der „Weberhalle“ ein Mansarddachhaus. Es diente vor anderthalb Jahrhunderten und ehedem dem Hof als Konzert- und Opernhaus – und auch jetzt unter dem Namen „Orangerie“ der Kunst.
In ihm wirkte 1779 bis 1782 als Hofkapellmeister der gewiss geniale, aber unruhvolle und charakterlich anfechtbare Franz Anton von Weber.
„Der Geist der Musik, dessen unablässiges, oft dämonisches Wirken sich fast ein Jahrhundert lang in der Familie von Weber verfolgen lässt, in Genieblitzen ohne Segen aufzuckt, den leitenden Kompass der Lebenswege aller irre macht, allen den Wanderstab armer Kunstapostel in die Hand drückt, bis er endlich, sich zum Genie läuternd, zum dauernden Ruhm des Namens aufleuchtet, beseelt auch Franz Anton von Weber.“Max Maria von Weber
Die Herkunft und manches Lebensjahr Franz Anton von Webers sind in Dunkel gehüllt. Der sehr vorsichtig urteilende Prof. Peter Raabe nennt ihn „eine dunkle Persönlichkeit“, und selbst der Enkel dieses „zweifelhaften Ehrenmannes“ schreibt: „Das Wanderleben machte den bislang zwar aufbrausenden und unbesonnenen, aber doch gutherzigen und im Grunde vornehmen Kavalier“ zu einem „selbstsüchtigen, rohen, zerfahrenen und endlich sogar schwindelhaften Großsprecher.“
Neuere Forschungen wollen beweisen, dass Franz Anton, der seine Abstammung aus altem österreichischen Adelsgeschlecht herleitete und sich gelegentlich „Major von Weber“ (er hatte am Siebenjährigen Krieg teilgenommen) oder „Kaiserlicher Kammerherr Baron von Weber“ nannte, Alemanne war und sich ursachlos das Adelsprädikat „von“ hinzugefabelt hatte, was durchaus dem entspräche, was man sonst von ihm weiß.
„Viel wichtiger als die Adelsfrage ist die Tatsache, daß Franz Antons Bruder Fridolin der Vater von Constanze Weber, der Gattin Mozarts, war, so dass also Mozarts Frau Carl Maria von Webers Base gewesen ist.“Prof. Peter Raabe
Ankunft und Wirken in Eutin
Verworren und oft unerkennbar sind die Wege, die Franz Anton von Weber nach Eutin führten, wo sein großer Sohn geboren werden sollte. Er kam 1734 in Zell (Baden) zur Welt, wurde Offizier, Amtmann in der Nähe von Hildesheim, wo er eine vermögende Frau heiratete. Die Musik (Geige, Bratsche und Kontrabass) ließ ihn seine Amtsgeschäfte vernachlässigen; er verlor 1768 sein Amt und lebte – er nahm das Leben nicht schwer – fünf Jahre als Privatmann in Hildesheim.
Der eitle Vater hoffte bei jedem Familienzuwachs auf ein musikalisches Wunderkind nach der Art des jungen Mozart. Mit dem Rest des Vermögens seiner Frau schloss er sich gegen deren Willen mit der ganzen Familie einer wandernden Theatergesellschaft an, dem Drang seiner Talente und der Unrast nachgebend. 1778 tauchte er aus dem Dunkel der Anonymität als „Musikdirektor der Lübecker Reichsstädtischen Schaubühne“ auf.
Die Einnahmen waren gering, und seine Unrast bezwingend, bewarb er sich um die Stelle des Kapellmeisters am Eutiner Hof. Durch ein Dekret vom 9. April 1779 ernannte der kunstliebende Herzog und Fürstbischof Friedrich August ihn zum Hofkapellmeister auf Lebenszeit mit einem Jahreseinkommen von 400 Talern. Aus der Reihe seiner Kinder konnte ihm manches im Konzert oder bei der Aufführung kleiner Opern von Pergolesi oder Hiller oder andern zeitgemäßen Komponisten im Konzerthaus des Parks helfen. Wenn dann die abendliche Hofgesellschaft vom Schloss her über die Holzbrücke in den Park und zwischen geschorenen Hecken gemessenen Schrittes zum Musikhaus ging, leuchtete ihnen in geziemender Haltung die Reihe fackeltragender Lakaien mit schwarzem Dreispitzhut, kurzen schwarzen Samtbeinkleidern, weißen Strümpfen und Schnallenschuhen. Ausgehende Rokokozeit!
Doch die Verschuldung des Ländchens veranlasste den Herzog und Bischof zu einer durchgreifenden Verkleinerung der Kapelle; Franz Anton wurde mit einer Jahrespension von 200 Talern entlassen. Die Familie verließ Eutin, kurz bevor Joh. Heinr. Voß im Juli 1782 die Stadt betrat. Franz Anton mag das Wanderleben, auf dem er sich einen neuen Wirkungskreis suchte, nicht sonderlich ernst genommen haben; seiner kränkelnden Gattin Marianne geb. Fumetti aber brach 1783 das Herz in der Ungewissheit über das Schicksal ihrer Kinder und im Wissen um den verfehlten Lebensweg.
In Wien lernte er die „schöne, sanfte, blonde, blauäugige“ Sängerin Genoveva Brenner kennen, und im August 1785 heiratete der 51-jährige sie, deren Alter von den verschiedenen Biographen zwischen 16 bis 22 Jahren angegeben wird. Wohin sich nun wenden – ? Seltsam: Eutin ließ ihn nicht los. Bald nach der Hochzeit nahm man seinen Weg nach Norden. Gewiss lockte die Hoffnung, der Nachfolger des im Sommer verstorbenen Herzogs, der kluge, weltoffene Herzog Peter Friedrich Ludwig, werde die Hofkapelle wieder aufbauen, ihn nach Eutin. In dem neuerbauten schönen breitgelagerten Fachwerkhaus jenseits der Enge am alten Lübecker Tor, in der Straße, die man die „Freiheit“ nannte, fand er im Obergeschoss eine Wohnung. Die Hoffnung, sogleich wieder in den Hofdienst zu treten, trog; da aber der privilegierte Stadtmusikus Bülau wegen seines vorgerückten Alters sein Amt gern aufgeben wollte, erwarb Franz Anton von Weber es gegen eine jährliche Zahlung von 50 Talern. Der neue Landesherr unterstützte den neuen „privilegierten Stadt- und Landmusikus“ durch ein Geschenk von 100 Talern zur Beschaffung der Instrumente. Dieser Beweis des Wohlwollens ließ Franz Anton hoffen, doch noch in seine einstige Stellung hier aufzusteigen aus einem Amt, das ihm unter seiner Würde zu liegen schien.
Die Geburt Carl Maria von Webers
Am 18. November 1786 (auch der 18. Dezember kann als Geburtsdatum angenommen werden) gebar Genoveva, die von ihrem Gatten als Genoveva „von“ Brenner in Eutin eingeführt worden war, ein zartes Knäblein, das zwei Tage darauf in der Taufe die Namen Carl Maria Friedrich Ernst bekam. Bewusst katholische Eltern ließen ihr Kind, das im katholischen Glauben erzogen werden sollte, von einem evangelischen Geistlichen taufen: ein Beweis konfessioneller Duldsamkeit jener Zeit.
Es ist kennzeichnend für das eigenartige Selbstbewusstsein des Vaters, dass er zu Taufzeugen und Paten bat: den Prinzen Karl von Hessen, Statthalter von Schleswig-Holstein (vertreten durch den Hofjägermeister von Witzleben), die verwitwete Herzogin (vertreten durch Hofmeisterin du Hamel) und den Hofmarschall von Both. – und im Hause „in der Freiheit“ war die Sorge und waren schwere Gedanken zu Gast.
„In dem Herzen Carl Maria von Webers wohnte kein Gedanke an das, was an seinem Vater anders hätte sein können. Er erinnerte sich nur seiner Liebe.“Max Maria von Weber
Madonna in der „Freiheit“
Im Gasthaus des Eutiner Ratsherrn Ranninger am Nordende der Lübecker Straße nahe der engen Markttwiete ging es am Abend des 26. Dezember 1786 gar hoch her. Die alte Eutiner Schützengilde feierte dort ihren üblichen Weihnachtsball. In einer kurzen Tanzpause nach einem schwungvollen Walzer brachte der vorletzte König der Gilde, Färbermeister Christian Kraft, ein Hoch auf den diesjährigen Schützenkönig, Herzog und Bischof Peter Friedrich Ludwig, aus.
Während die Balldamen, noch immer erhitzt, sich Kühlung zufächelten, ließ plötzlich ein Wortwechsel den ganzen Saal aufhorchen. Christian Kraft stand, seiner Würde sich bewusst, vor der niedrigen Bühne, auf der außer ihrem Prinzipal Franz Anton von Weber fünf Musici ihre Instrumente eine Weile ruhen ließen, und rief dem Stadtmusikus, der den Kontrabass spielte, zu, an die Rampe zu kommen.
Unwirsch antwortete der also Gerufene, er lasse sich nicht so anbellen, worauf Christian Kraft noch herrischer ihm befahl, den Eutiner Schützenmarsch zu spielen. Als Franz Anton von Weber sich nochmals diesen Ton verbat, der Färbermeister aber, durch den Trunk erregt, noch ausfallender wurde, lehnte der „Stadt- und Landmusikus“ kurzer Hand seinen Kontrabass gegen den Stuhl und gab dem ersten Geiger, seinem Sohne Franz Joseph Maria, die Weisung, das Instrument heute abend heimzuschaffen. Dann ergriff er wortlos seinen Hut, nahm den Mantel über den Arm und verließ eilig, ohne auf das Staunen und die hämischen Zurufe mancherlei Art aus der Tanzgesellschaft zu achten, den Saal.
Als er die Gasthaustür hinter sich geschlossen hatte, reckte er sich in seiner ganzen Größe auf und mußte erst seinem verachtenden Unmut durch ein kurzes höhnisches Lachen Luft machen: „Das fehlte noch –! Mir von Gevatter Schneider und Handschuhmacher Befehle geben zu lassen!“
Spärlich fielen kleine Flocken in den Winterabend und verschleierten den Mond. Doch war es immerhin so hell, dass der sparsame Magistrat die vor drei Jahren angeschafften Öllampen auf den Straßen nicht hatte anzünden lassen. Der Stadtmusikus blieb unschlüssig stehen: Sollte er nach diesem Erlebnis und in dieser Erregung gleich durch das Lübsche Tor nach Hause zu seiner noch von der Geburt des Knaben geschwächten Genoveva, in die ihn bedrückende Enge gehen – ?
„Freiheit –! Ja, Freiheit –!“ Aber in dem Raum vor dem Tor, den diese Spießbürger „Freiheit“ nannten – ? Diese – Banausen! Zigeunermusik –! So weit reicht's –!“ Just der Färber Kraft hatte im Magistrat am lautesten spektakelt und auf Eutins Marktfreiheit gepocht, als kürzlich Franz Anton von Weber auf Grund seines Privilegs eine zum Tanz aufspielende Zigeunergesellschaft, die ganz Eutin begeisterte, aus der Stadt hinausjagen ließ. Als der aufgeregte Stadtmusikus die Bürger Eutins noch mit allerhand nicht gerade schmeichelnden Titeln belegt hatte, hörte der Schneefall auf, und heller Mondschein lag auf dem weiß getupften Kopfsteinpflaster.
Entschlossen wandte sich von Weber linker Hand in die Pfaffenstraße, um dann über den Schlossplatz und den „Neuen Weg“ und am Schlossgarten entlang nach seinem Hause auf der „Freiheit“ zu kommen. Vor dem etwas zurückliegenden Hause des Kanzleirats Stricker in der Pfaffenstraße, aus dem helles Licht schien, blieb der einsam Schreitende stehen – und horchte, ob er vielleicht seine Töchter hören könne, die gelegentlich einer Abendgesellschaft zu einem Gesangsterzett in das Haus gerufen worden waren. Ja –! Mit großer Freude hörte er ihre gepflegten Stimmen.
So war also seine zarte Genoveva mit dem fünf Wochen alten Knaben allein im Hause! „Armes Veverl –!“ Dass er mit ihr den Weg finden musste aus dem frohen, sonnigen Wien, wohin sie sich sehnte, in dieses raue Land der Hyperboreer: Also schwer grübelnd, überschritt er den Schlossplatz.
Vom zierlichen Barockturm über dem Schlosseingang klangen zehn Schläge. Die Fenster des Eck-Rundturms waren erleuchtet: dort lag des ernsten Herzogs Arbeitszimmer. Erst gestern hatte der Hofmarschall von Both Franz Anton von Weber, dem er sehr gewogen war, gesagt, der sparsame Landesherr könne sich immer noch nicht entschließen, wieder eine Hofkapelle einzurichten.
„Ja –! Ja –!“ seufzte von Weber. „So wie der Joseph Haydn beim Grafen Esterhazy –! Das wäre hier so etwas! Aber sich mit den Bauern und Bürgern herumschlagen –“
Während er so seine armselige Lage überdachte, ging er den Neuen Weg am Park entlang, und auch die Schönheit des Silberfiligran an den Zweigen der jungen Lindenkronen löste ihn nicht aus dem Grübeln. Seine beiden talentvollen Söhne Fridolin (Fritz) und Edmund hatte er Haydn zur Ausbildung übergeben, – und das Honorar war fällig. Es war ein kalter Winter vorausgesagt, und die zarte Genoveva, die heimwehkranke, und das zarte Kind brauchten eine warme Stube und gute Pflege. Woher das Geld nehmen?
Franz Anton hatte das Ende des Weges erreicht und wandte sich nun rechts in die Straße, die man (er musste höhnisch lachen!) die „Freiheit“ nannte. – Jetzt stand er vor seiner Wohnung; silbern lag der Mondschein auf dem gestreckten Dach. Nur aus zwei Fenstern im Stockwerk schien Licht in den Winterabend. „Noch so spät wach, armes Veverl –? Ganz allein –?“
Behutsam öffnete er die geschnitzte Eichentür und dämpfte mit der Hand das Geläute der Glocke. Er tastete sich über den Flur und ging sachte die Treppe hinauf. Vorsichtig legte er Hut und Mantel ab und horchte. Alles still! Ein schmaler Spalt, durch den ein winziger Lichtschimmer drang, zeigte ihm die Tür zur Stube. Noch zögerte er, einzutreten. Es war dem selbstbewussten Manne in dieser seltsamen Stille plötzlich, als müsse er in der letzten Stunde des Weihnachtsfestes vieles auch an der kranken Genoveva wieder gut machen, was sein Stolz gefehlt und übel tat. Sorgfältig, als trete er scheu in ein Heiligtum, drückte er auf die Klinke, öffnete die Tür – und hemmte gebannt seinen Schritt.
In ihrem Sessel saß die junge Mutter, vom Silberschein des nur schräg hereinfallenden Mondlichts matt erhellt. Sie war eingeschlummert, und auf ihrem zarten Gesicht träumte noch die stille Freude, von der sie erfüllt war, als sie den Knaben tränkte. Auch das Kind war, selig gestillt, eingeschlafen und lehnte sich an die Brust der Mutter.
Hinter Genovevas Haupt aber stand eine hell leuchtende Kerze. Ihr Licht durchflimmerte das blonde Haar der mädchenhaften Frau, wob um ihr feingebildetes Gesicht einen Goldkranz und fiel auf das Antlitz des schlummernden Knaben. Lange schaute der sonst so hochfahrende Franz Anton ergriffen auf dieses Bild.
War es nicht fast das gleiche wie das in der kleinen Wiener Kapelle, ein Gemälde von Stephan Lochner oder Martin Schongauer. auf das er immer schauen musste, als er in der Abendstunde des 20. August vorigen Jahres mit der jungen Genoveva getraut wurde –? Die ganze Spanne der letzten sechzehn Monate seither mit ihren Hoffnungen, Enttäuschungen, Schmerzen, mit dem ihm eigenen Stolz gegen das Geschick war ihm plötzlich wie überbrückt. Das Wiener Madonnenbild in jenen Tagen verjüngender Freude des Einundfünfzigjährigen und dieses Bild in seinem Heim: sie wurden in seinem Sinnen zu einer Einheit.
Lange stand er vor der mit einem Glorienschein umstrahlten Mutter. Dann holte er auf leisen Zehen seine Geige.
„O sanctissima, o piissima, dulcis virgo Maria –!“
So klang gedämpft die andächtige Huldigung durch den Raum. Genoveva erwachte und richtete schlaftrunken ihre großen blauen Kinderaugen auf Franz Anton, der noch immer seine Andacht in weichen Tönen ausklingen ließ. Dann schaute sie lächelnd auf das Kind an ihrer Brust, das nun auch die Augen aufschlug und mit seligem Ausdruck dalag, als ob es den Klängen lausche.
Das Lied war verhallt.
„Genoveva –! Mein Veverl –!“ Der stolze Franz Anton von Weber sank vor ihr aufs Knie. „Mein Veverl –! 0 sanctissima! Dulcis virgo Maria –!“ Dann legte er sein leicht ergrautes Haupt in ihren Schoß. Genoveva hielt ergriffen ihre Hand auf des Gatten Haupt und streichelte den Schluchzenden: „Franz Anton –! Du – und das Kind –! – Carl Maria –!“
Und nun ruhte regungslos ihre Hand auf dem Haupt eines stillen Menschen.
„In dem Klang meiner Lieder findet ihr mich wieder.“Carl Maria von Weber
Abschied und Wanderjahre
Theaterblut und der Entschluss zum Gehen
Der Winter 1786/87 war noch strenger als man vorausgesagt hatte, und oft klopfte die Not an die Tür des verstimmten Stadtmusikus und seiner kränkelnden Genoveva. An manchen Tagen wurde es schwer, für die große Familie das Notwendigste zu beschaffen. Durch eigene Schuld hatte der Hochfahrende sich die Sympathie der Bürgerschaft verscherzt, aber auch zu der oberen Bildungsschicht der kleinen Residenz gewann er kein rechtes Verhältnis. Stolberg, der wohl an der Form des Auftretens Franz Antons Anstoß genommen, aber für sein Temperament vermittelndes Verständnis gehabt hätte, war Anfang 1786 nach Neuenburg versetzt worden, Voß hatte seine „Ilias“-Übersetzung begonnen, die ihn ganz in Beschlag nahm, und auch zu dem Kreis um den Dichter-Rektor fand Franz Anton, der Unruhvolle, Unverträgliche, keine rechte Beziehung.
Dem Herzog war er mit allerhand Bitten gekommen, die ihm nicht erfüllt werden konnten; auch war dem Hof bekannt, dass der Stadtmusikus bei der Einholung der Witwe des 1785 verstorbenen Herzogs Friedrich August von der Stadt für Musikleistungen unerhörte Forderungen gestellt hatte, was auch den Hof verstimmen musste. Trotz dieser lähmenden Spannungen gab Franz Anton die Hoffnung auf Wiedereinstellung in das alte Amt eines Hofkapellmeisters nicht auf – und suchte durch eine Eingabe an den Herzog Peter Friedrich Ludwig endlich Gewissheit zu bekommen.
„Dem deutschen Künstler ist vorzugsweise der wahre Eifer eigen, im Stillen die Sache eben um der Sache willen zu tun.“Carl Maria von Weber
Als am 30. März 1787 der „Stadt- und Landmusikus“ Franz Anton von Weber mit seinem Sohne Franz Anton Maria und vier Musici seiner Kapelle auf bäuerlichem Kastenwagen nach dem nächsten Pfarrdorf geholt werden sollte, um dort den Bauern zum sonntäglichen Tanz aufzuspielen, gab er seinem Unmut über solch unwürdiges Gefährt in derb-zornigen Worten Ausdruck. Doch den jäh aufwallenden Entschluss, den Wagen verachtungsvoll heimzuschicken, musste er herunterwürgen; denn auch seine Kunst ging nach Brot. Nach ein paar wärmeren Märztagen hatte der Winter wieder eingesetzt. Erst gestern war erneut Schnee gefallen. Missmutig stieg der „Prinzipal“ zu den übrigen auf den klapperigen Wagen.
Aber während der Fahrt durch die Schneelandschaft hellte sich seine Stimmung auf, ja, er wurde sogar fröhlich im lebhaften Erinnern an viele Jahre, da der Thespiskarren ihn in lustiger Gesellschaft durch weite deutsche Lande getragen hatte.
Um 10 Uhr abends stand der Wagen zur Heimfahrt wieder vor dem Dorfkrug. Franz Anton aber bestand darauf, den Heimweg, eine Meile, zu Fuß zurückzulegen. Er wollte allein seinen Gedanken Audienz geben, um Klarheit für die Zukunft zu gewinnen. Inzwischen war der abendliche Nebel zu Reif geworden und verschwunden. Der einsame Wanderer genoss in ruhevollem Schreiten unter klarem Himmel den Zauber der Winterlandschaft. Kein Mensch begegnete ihm; nur der schneegedämpfte Hall seiner Schritte war zu hören. Im beglückenden Gefühl der Weite und des Befreitseins straffte er die Arme und gedachte der sechs abenteuernden Jahre, die ihn mit seiner Operngesellschaft von Hildesheim aus kreuz und quer vor neun Jahren an die Lübecker Reichsstädtische Bühne gebracht hatten.
„Wieder solche Triumphe feiern zu können, der Sorgen und der quälenden Verantwortung lachend: das lohnte sich!“ Er empfand im Erinnern das einstige Glück, als Dirigent vor der Bühne zu stehen, und summte eine Arienmelodie vor sich hin, indessen er der kleinen Residenz zuschritt.
Dass er durch den kleinlichen Geiz des Herzogs vor fünf Jahren seine Eutiner Hofkapellmeisterstelle verlieren musste! Der Gedanke an die Unrast zuckte in ihm auf, die seiner ersten Gemahlin das Herz brach. Aber es lag dem „Freiherrn“ nicht, Verfehltem oder gar Schuldvollem nachzusinnen. Wenn sein Theaterunternehmen auch einst missglückte, – sind seine Kinder nicht inzwischen herangewachsen, die Hauptrollen zu übernehmen –? Die drei Söhne und die Eva, die Josepha und Antonietta, wohlgebildet und musikalisch erzogen?
Franz Anton bleibt stehen und reckt sich siegessicher auf. Aber – Genoveva und der kleine Carl Maria –? Doch seine zagenden Gedanken werden rasch verscheucht: Er steht vor einer kleinen beschneiten Wiese, die in den Wald hineinspringt. Inmitten dieser bühnenartigen Einbuchtung stehen im Schleiergewand des Reifs drei junge Birken unter dem Silberglanz des Mondes – gleich zierlichen Gestalten, die sich im Schleier des Balletts zum dramatischen Spiel vereinten, und Stimmen glaubte er zum Klang eines unsichtbaren Orchesters zu hören.
Er hebt die Hand, als hielte er den Zauberstab, dem Spieler und Hörer untertan sind. Zwei Rehe, durch seine Armbewegung aufgeschreckt, springen in die Kulissen. Das Spiel ist aus. Da muss sich der Theaterdirigent überwältigt gegen einen jungen Baumstamm am Wege lehnen. „Ja –! So gestalten – und schaffen –! Du weite, freie Welt –!“ Er spricht leise vor sich hin.
– Aber –woher die Mittel nehmen –? „Ich verkaufe dem Knauserherzog meinen Pensionsanspruch. Dann hab' ich Geld genug!“
Schon sieht er im Weitersehreiten die gotische Turmhaube der Stadtkirche über den Hügel ragen, und ihn überkommen wieder Bedenken, Genoveva und das Kind der Ungewissheit des Wanderlebens auszusetzen.
„Unsicherheit –?“ grübelt er: „Ist diese Armut denn besser als Unsicherheit? Habe ich nicht in meinem bettelnden Gesuch, mir Amt und Titel eines Hofmusikus zu geben, meinen Stolz gebeugt – um ihretwillen?“
0, sich noch einmal tragen lassen vom Geschick – als es immer nur selbst zu tragen! Armut – oder Unsicherheit? Ich lege die Entscheidung in die Hand des Schicksals. Oder doch noch ein „Ja!“ des Herzogs –? Ein – Orakel! Kam heute des Hofes Antwort, liegt sie heute auf dem Tisch, so gelte das als Entscheidung.
Er atmet tief, ledig des drückenden Gefühls der Verantwortung. – Franz Anton von Weber durchschreitet das Sacktor, überquert den Marktplatz, und bald danach betritt er voller Spannung das Wohnzimmer, in dem Genoveva besorgt an der Wiege auf ihn wartet.
Da sieht er einen Brief auf dem Tisch liegen. „Der Kammerherr von Both schickt ihn!“, sagt Genoveva fast ängstlich, indessen Franz Anton den Brief ergreift. „- Also – vom Herzog –!“ Seine Stimme klingt gelassen. Er öffnet den Brief, schaut lange hinein, lässt die Hand sinken – und schaut wie in die Weite.
„Nun?“ fragt Genoveva gespannt.
„Abgelehnt! Der Mensch muss den Weg gehen, der ihm bestimmt ist, – und das ist gut!“
Genoveva wendet sich erschüttert ab und beugt sich über die Wiege. Franz Anton, der ans Fenster getreten war, tritt freundlich zu ihr hin: „Mein Veverl! Diese Enge ist nichts für dich!“ Und dabei nimmt er behutsam den Kleinen, der ihn mit großen Augen anschaut, aus der Wiege, hüllt ihn warm in Decken und trägt ihn zum Fenster, indessen die junge Mutter sein seltsames Tun mit staunenden Blicken verfolgt.
Nun steht er wieder am Fenster: „Was willst du hier, mein Junge, bei dem knauserigen Herzog! Siehst du da draußen an den hohen Bäumen über dem Haus den Zuckerschaum an den Zweigen? Aber – hinter den Bäumen, da ist eine noch viel schönere Welt. Und wenn der Lenz kommt, Carl Maria, dann sollst du da draußen horchen und lauschen auf die Vögel und die Quellen, auf den Wind im Wald und auf den Sturm und auf die Lieder, die das Volk singt in Lust und Leid. Du sollst alles einfangen zu schönen Melodien, mein kleiner Bub – und du sollst vollenden, – was – ich – gewollt!“
Genoveva ist's so weh ums Herz, und doch muss sie lächeln über das große Kind.
„Was willst du nun tun?“ fragt sie zaghaft.
„Was ich tun will? Dieser Stadt den Rücken kehren. Ich bin halt ein von Weber. Musik und jubelnde Unrast pulsen durch unsere Adern, auch durch die deinen, mein kleiner Carl Maria. Wie groß du mich anschaust! Ja, auch du willst nicht hier bleiben, wir alle nicht, du nicht, deine liebe Mutter nicht, deine großen Schwestern nicht – und auch nicht der Franz.“
„Wohin?“ fragt ängstlich die junge Mutter.
„Ich will mit meinen Kindern – auch der Fritz und der Edmund in Wien gehen mit – eine Operngesellschaft gründen.
„Franzl –! Und mein Kind –?“
„Veverl –! Nit gar zu sehr sorgen! Ich werde um die Enthebung von meiner Stellung einkommen. Dann gehört mir wieder die alte Hofmusikus-Pension. Die verkaufe ich gegen eine einmalige Abfindung, und dann wird es mir leicht, alles zu besorgen. Auch du, mein Veverl, wirst dich freuen, wenn es fort nach dem Süden geht!“
„Nach Wien, Franz!, – nach Wien –?“
„Ja, auch nach Wien!“
Da muss selbst Genoveva aus weinenden Augen wie erlöst lächeln, und sie nimmt dem großen Kind das kleine ab. „Hörst du, Carl Maria? Nach Wien!“ sagt sie und legt den Knaben, der sie anzublicken scheint, als habe er alles zustimmend begriffen, liebkosend in die Wiege.
„Weber ist voll und ganz ein Eigener, ein Mann von besonderer Größenklasse, ein Meister von selbstgesetzter Prägung gewesen.“Prof. Dr. Hans Joachim Moser
In seinem Gesuch an den Herzog hatte von Weber klar ausgesprochen, dass, wenn sein alter Wunsch nicht erfüllt werde, er auf das Privileg, „im Hochstift und der Stadt Eutin und auf den herzoglichen Gütern ausschließlich öffentlich musizieren zu dürfen“, verzichte und bitte, ihn wieder in den Stand eines Pensionärs des Herzogs einzusetzen. Der sparsame Landesherr gewährte ihm verstimmt diese Bitte durch das Reskript vom 30. März 1787.
Mehrfach hatten die begabten Töchter des Stadtmusikus auf der herzoglichen Bühne im Konzerthaus des Parks erfolgreich mitgewirkt, wenn ihr Vater, was allerdings nur selten vorkam, kleine Opern für die Hofgesellschaft aufführte. Aber sie scheuten sich doch, als Berufssängerinnen auf anderen Bühnen aufzutreten, – und nur unter Tränen seiner Töchter und der immer noch schwachen Genoveva setzte der Vater seinen Plan der Gründung einer Theatergesellschaft durch.
Als er dem Herzog den Vorschlag machte, die Pensionsverpflichtung durch eine einmalige Summe abzugelten, war dieser gern damit einverstanden in der Gewissheit, nun dieses Mannes, der dem Rechtssinn und der Schlichtheit des Herzogs so wenig entsprach, ledig zu sein. Von den 900 Talern, die Franz Anton auf diese Weise bekam, und von dem Erlös des Verkaufs von Instrumenten an seinen Nachfolger, Stadtmusikus Claus Heinrich Creutzfeld (50 Taler), sowie von der von Creutzfeld an Weber gezahlten Abstandssumme von 350 Talern blieb nach Bezahlung der im Winter gemachten Schulden immerhin eine erkleckliche Summe übrig, um in Hamburg sofort die Organisation der geplanten Theatergesellschaft in die Wege zu leiten.
Im Mai verließ auch Genoveva von Weber mit ihrem sechs Monate alten Carl Maria die kleine Stadt und das schöne Ostholstein. So blieb des großen Komponisten Geburtsheimat für seine künstlerische Entwickelung zunächst ohne Bedeutung.
Carl Marias Jugend und Ausbildung
Durch anderthalb Jahrzehnte schien jede Beziehung zu der kleinen Residenzstadt am schönen inseldurchstandenen See abgebrochen zu sein. Unruhvoll wurde wieder das Leben des Theaterdirektors Franz Anton – und damit auch das der ganzen Familie. Ein angeborenes Beinleiden hinderte den Knaben Carl Maria am fröhlich tummelnden Spielen mit andern Kindern. „Durch die Schwäche an die Nähe der Eltern gebunden, war für ihn das Theater, das Orchester, die Bühne seine Welt.“ Sein ganzes Leben lahmte er auf dem rechten Fuß, aber mit zäher Energie ertrug er das Leiden.
In seinen autobiographischen Aufzeichnungen übergeht Carl Maria von Weber ehrfürchtig und taktvoll Einzelheiten seiner ersten 14 Lebensjahre. Diesem Verschweigen liegt sicher die Rücksicht auf den Vater zu Grunde. Er erzählt auch die Tatsache nicht, dass er mit den Eltern 1794 in Weimar war, wo Genoveva im Hoftheater, das unter Goethes Leitung stand, auftrat.
Dankbar spricht er von dem Vater, trotzdem dessen Gebaren ihm doch oft Kummer bereitete: „Ich genoss eine sorgfältige Erziehung mit besonderer Vorliebe für die schönen Künste, da mein Vater selbst ausgezeichnet Violine spielte. Die eingezogene Weise, in der meine Familie lebte, der stete Umgang mit erwachsenen gebildeten Menschen, die ängstliche Vorsicht, mir keine andere verwildernde Jugendgesellschaft zuzulassen, lehrten mich früh, mehr in mir selbst und in der Phantasie zu leben und in ihr meine Beschäftigung und mein Glück zu suchen. Malerei und Musik teilten sich hauptsächlich in meine Zeit. – Doch unwillkürlich entschlummerte diese Beschäftigung, und die Musik verdrängte, meiner selbst unbewusst, die Schwester endlich ganz.“
Früh stand bei dem Vater die Absicht fest, den Sohn zum Opernkomponisten zu erziehen, und dafür schien ihm auch die Ausbildung der Stimme von besonderer Bedeutung zu sein. Im Jahre 1798 trat der kaum 12-jährige mit gutem Erfolg in München als Klavierspieler und Sänger auf. In seinen Jünglingsjahren sang er, fröhlich unter Fröhlichen, gern zur Gitarre.
Sein erstes gedrucktes Werk, sechs Fughetten, widmete er 1798 seinem Bruder Edmund, wohl dem begabtesten unter Brüdern, die alle nicht ohne Bedeutung blieben. In dem Widmungstext wurde der junge Komponist auf des Vaters Veranlassung noch um ein Jahr jünger gemacht als er war. Der Mangel an Wahrhaftigkeit blieb dem Vater immer treu. Im gleichen Jahr starb in Salzburg am 13. März Carl Marias über alles geliebte Mutter, die mit besonderer Fürsorge an ihm, dem schwächlichen Sorgenkind, hing.
1800 sehen wir Vater und Sohn Weber eifrig beschäftigt, die kürzlich erfundene Technik der Lithographie für den Notendruck auszunutzen; in Freiburg (Sachsen) ließen sie sich nieder, diese Erfindung im großen auszuwerten. Hier vollendete Carl Maria die Oper „Das stumme Waldmädchen“, die bald darauf, Carl Maria war 14 Jahre alt, mehrfach aufgeführt wurde. Eine Zeitungsfehde wegen der Oper zeigte wieder des Vaters Großmannssucht. Nach einer Übersiedelung nach Salzburg nahm Carl Maria wieder Unterricht bei Michael Haydn, des größeren Joseph Haydns Bruder, und schrieb seine „Peter Schmoll“-Oper.
Bevor es ihm gelang, sie in Augsburg unter der Leitung seines Bruders Edmund aufführen zu lassen, drängte der Vater zu einer gemeinsamen Kunstreise durch Norddeutschland. Sie führte beide auch nach Eutin.
Zwei Virtuosen, der geigende Vater und der Sohn im 16. Lebensjahr am Klavier, nahmen ihren Weg nach Eisenach (um die Hauptstationen zu nennen), Braunschweig bis hinauf nach Schleswig, von wo sie über Eutin nach Hamburg fahren. Max Maria von Weber schreibt dieser Reise einen entscheidenden Einfluss auf die selbständige künstlerische Entwicklung des großen Komponisten, seines Vaters, zu und meint, dass auf ihr „seine künstlerische Intuition eine neue Richtung erhalten habe und eine neue Saat auf das reiche Ackerfeld seiner Seele gefallen sei.“
Unter den Gründen, auf der Konzertreise auch Eutin zu berühren, mögen zwei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Zunächst wollte gewiß der Vater seinem Sohne dessen Geburtsstadt und ihre schöne Umgebung zeigen, dann aber hatte er offenbar das Verlangen, der Residenz, die seinen Wert einst nicht zu schätzen wußte, nun die Bedeutung derer von Weber sieht- und hörbar zu machen. Denn gewiss waren schon Nachrichten über den jungen Komponisten auch hierher gedrungen.
Rückkehr und künstlerischer Durchbruch
Eutins Hof hatte inzwischen das Französelnde gänzlich abgetan. Die Umwandlung des Schloßparks 1786/87 vom französischen Hecken- zum offenen englischen Gartenstil kennzeichnete den Wandel, und Carl Marias Taufzeugin, die Hofmeisterin Marquise du Hamel, vor 5 Jahren im 82. Jahre ihres Lebens gestorben, ruhte auf dem neuen Friedhof, wo noch jetzt ihr Name auf hohem Steine zu lesen ist.
Eutin schien nach Oldenburg eine zweitrangige Residenz zu werden, und der Ruhm der Stadt als Sammelpunkt bedeutender Geister begann zu verblassen.
Seltsame Zeitenwende: der Rationalist Voß reicht abschiednehmend dem jungen Romantiker Carl Maria von Weber die Hand.
„Der Deutsche greift alles tiefer; er will ein Kunstwerk, wo alle Teile sich zum schönen Ganzen runden. – In der Kunst gibt es keine Nebensache, keine Kleinigkeit.“Carl Maria von Weber
Künstlerstolz: Der junge Meister in Eutin
Der 15-jährige Carl Maria von Weber hatte kürzlich in Salzburg seine Komische Oper „Peter Schmoll und seine Nachbarn“ vollendet, als er mit seinem unruhvollen Vater seine „musikalische Reise“ nach Norddeutschland begann. Man schrieb das Jahr 1802. An einem sonnigen Frühherbsttag traten sie unerwartet ins Eutiner Rektorhaus, dessen Bewohner sich des ehemaligen Stadtmusikus noch deutlich erinnerten. Doch kam der Besuch recht ungelegen; denn der nervöse Johann Heinrich Voß und seine gute Ernestine waren durch die Vorbereitungen zum Umzug nach Jena recht in Anspruch genommen.
Aber in dem Hause des musikliebenden Kanzleirats Stricker in der Pfaffenstraße fanden sie eine freundliche Aufnahme. Zu einem Hauskonzert schon am zweiten Abend lud man die Freunde ein, den Rektor Voß, den Leibmedikus Helwag und den Historiker Bredow mit ihren Frauen, ja auch der Herr Regierungspräsident von Maltzahn war zugegen. Unter anderem spielte Carl Maria auch die „Schmoll“-Ouvertüre und seine schon vor vier Jahren im Druck erschienenen Fughetten.
Er wurde aber schmerzlich aus seinen Höhen herabgerissen, als nach der Aufforderung der Frau Dr. Bredow, der achtjährige Sohn des Hauses seine „Maultrommel“ spielte und ebenfalls lebhaften Beifall errang. Dem jungen Weber bereitete diese Musik fast physische Schmerzen, und die billige Anerkennung neben dem Beifall, dem man ihm gezollt hatte, verstimmte ihn sehr.
Ernestine Voß, die gleich ihrem Manne herzliche Zuneigung zu diesem interessanten blassen Jüngling gefasst hatte, las aus seinem Antlitz die Verstimmung, wandte sich besonders freundlich zu ihm und lud ihn und den Vater für den nächsten Tag zum Mittag ein.
Man ging zeitig schlafen; denn der Hofprediger Uckert hatte einen Wagen zu einer Fahrt mit Webers in aller Herrgottsfrühe nach dem Uklei bestellt. Die Fahrt ging über Gremsmühlen. Das Erlebnis der aufgehenden Sonne über der Kellerseelandschaft und der Anblick des tief eingebetteten Uklei-Waldsees in der geheimnisvollen Morgenstille machte auf den Jüngling einen tiefen Eindruck. Es wurde ihm schwer, sich von dem Zauber der Stunde zu lösen.
Nach dem Mittagsmahl im Rektorhaus nahmen Webers mit dem Ehepaar Voß und zweien ihrer Söhne auf dem „Agneswerder“ des Gartens, der an den See stieß, den Kaffee ein. Wieder schaute Carl Maria wortlos ins Gelände. über den See zur Insel hinüber, zum Schloss, das zwischen hohen Ulmen herüber grüßte. Voß las einige seiner Gedichte vor, die sich wohl zur Vertonung eigneten, und der junge Künstler erbat sich ein paar Abschriften, die ihm dann auch mitgegeben wurden. Namentlich hatte er seine helle Freude über das lustige „Sagt mir an, – was schmunzelt ihr?“
Für den Abend war wieder ein kleines Konzert im Hause Stricker geplant, und daher legte sich der ermüdete 68-jährige Vater Weber nachmittags zur Ruhe nieder. Carl Maria aber wandelte allein durch den Schlossgarten, und zu Vossens drolligen Bauerntanz-Versen klang in ihm eine eben so lustige Melodie auf. Ins Quartier zurückgekehrt, schrieb er, noch erfüllt von der Schöpferfreude, das Empfangene nieder.
Diese freudige Erregung lebte noch in ihm, als er am Abend wieder in den Kreis der geladenen Gäste trat. Wieder spielte er auch eigene Kompositionen und mit dem Vater, dem Meister der Geige, Duette von seinem Lehrer Michael Haydn. Ehe er sich nach einer Pause, in der man ihm viel Anerkennendes sagte, wieder ans Klavier setzte, flüsterte er dem Rektor-Dichter etwas zu. Dann spielte er und sang dazu: „Sagt mir an, was schmunzelt ihr?“ Ein Staunen und fröhliches Lachen war der Beifall.
Als dann aber der junge Stricker wieder seine Maultrommel ergriff, sich neben das Pianoforte stellte, als wolle er mit seinem Vorgänger konkurrieren, ja, mit seinem Spiel sogar mit zwei Maultrommeln zwischen den Zähnen eine solche Begeisterung einiger Zuhörer erregte, dass selbst der Vater Weber höflich sagte: „– Wie schön!“ da stand Carl Maria wie gelähmt nach einem tiefen Sturz, bleich, innerlich zerschlagen auf. Nach einem solchen Tag – diese vulgäre Entgleisung! Der Applaus war verhallt. Man forderte den abseits stehenden Jüngling wieder zum Spiel auf. Er schüttelte stumm verneinend den Kopf. Auch als der Vater ihm gut zureden wollte, weigerte er sich auf das Bestimmteste. Nur langsam löste sich das betretene Schweigen der Gesellschaft. Sie ahnte wohl, was in dem jungen Künstler vorging.
Erst ein abendlicher Gang nach dem Konzert am Rande des Parks (der Park selbst war zu Carl Marias Bedauern schon geschlossen) brachte er die Wogen seiner Erregung wieder zur Ruhe.
„Auf Dank habe ich nie und nirgends gerechnet. Was ich tat, tue und tunwerde, geht aus meiner Pflicht hervor, und ihre Erfüllung ist eigener Lohn.“C. M. von Weber
Der Weg zum Meister
Von Eutin ging die erfolgreiche Konzertreise der beiden Virtuosen über Hamburg, Coburg, Augsburg nach Wien. Hier gab sich Carl Maria von Weber mit Eifer dem Studium, aber auch dem frohen, ja, wohl leichtsinnigen Lebensgenuss hin. In Breslau (1804) und Carlsruhe (Schlesien) sammelte der 18-jährige erste Erfahrungen als Operndirigent. Aber diese Jahre von 1804 bis 1809 waren auch voller Jugendwirren. Wohl suchte er sich durch seine Konzerte „über Wasser zu halten“, geriet aber trotzdem in drückende Schulden.
Als er 1807 in Stuttgart das Amt eines Geheimsekretärs des leichtlebigen Württembergischen Herzogs Ludwig angenommen hatte, stellte sich sein alternder Vater bei ihm ein. Durch dessen Unredlichkeit kam auch er in den lastenden Verdacht der Unterschlagung und wurde nach einer 16-tägigen Haft mit dem Vater des Landes verwiesen. In tiefer Zerknirschung über dieses ehrenrührige Erlebnis und über die letzten Jahre fand Carl Maria von Weber den Weg zum rechten Lebensernst und zum ernsteren Schaffen.
In Darmstadt (1810) hatte er wieder festen Boden unter den Füßen. Fleißiges Studium, kleinere Kompositionen, erfolgreiche und gewinnbringende Konzertreisen und die Aufführung des „Abu Hassan“ kennzeichnen die Jahre 1810/11.
Als Carl Maria im April 1812 die Nachricht vom Tode seines Vaters erhielt, schrieb er in sein Tagebuch: „Gott schenke ihm jenseits den Frieden, den er hier nicht hatte. Es ist unendlich schmerzlich für mich, dass ich ihm keine glücklichen Tage mehr bereiten kann. Gott segne ihm alle die große Liebe, die er zu mir hatte und die ich nicht verdiente, und die Erziehung, die er mir geben ließ. Requiescat in pace.“
Bald danach finden wir ihn, dessen Wesen die Weber-Unruhe nicht verleugnete, wieder auf einer Konzertreise, in Gotha, Weimar, Leipzig und in Prag, wo man ihn festhielt.
Auf ihr schrieb er die „Aufforderung zum Tanz“, „den schönsten Walzer der ganzen Zeit, ein Meisterwerk, das Anmut und Schwung eines feinen, vornehmen Tanzes so bezaubernd schön vor uns entwickelt, dass wir, die wir die schlimmste Tanzentartung erleben, voll Neid an die Zeit denken, in der Weber dieses Stück als den Ausdruck dessen schaffen konnte, was man hinsichtlich der Reinheit und Empfindung als selbstverständlich ansah.“ (Prof. Peter Raabe.)
Weber schreibt über sich: „Von 1813 bis 1816 leitete ich die Oper in Prag, nachdem ich sie neu organisiert hatte. Ganz nur meiner Kunst lebend, in der Überzeugung, nur zu ihrer Beförderung und Pflege geschaffen zu sein, legte ich die Direktion in Prag nieder. Frei zog ich abermals in die Welt, ruhig den Wirkungskreis erwartend, den mir das Schicksal zuführen würde.“
In Prag entstand die Liederreihe „Leyer und Schwert“ und die Kantate „Kampf und Sieg“, deren erste Aufführung er in Prag leitete. Das Manuskript dieses Werkes wird in der Eutiner Landesbibliothek als eine ihrer wertvollen Kostbarkeiten aufbewahrt.
Den „erwarteten Wirkungskreis“ fand Weber Anfang 1817 in Dresden; ihm wurde die Leitung der Hofoper übertragen. Die bedeutsamste Periode seines künstlerischen Schaffens, die sich bis zu seinem frühen Tode in ihrer Produktivität steigert, begann. Er konnte seine Braut, die begabte Sängerin Caroline Brandt, heimführen. „Der 4. November 1817 wurde Webers Hochzeitstag (in Prag); in dem gemütlichen Heim und dem schönen Sommerhäuschen in Hosterwitz, hat Weber glückliche Tage verlebt; sein Dasein hätte als bürgerlicher Idealzustand gelten können, wenn nicht zunehmende Kränklichkeit trübe Schatten darüber gesenkt hätte.“ (Prof. Dr. Hans Joachim Moser). Hier entstanden seine dramatischen Werke: „Preziosa“, „Der Freischütz“, „Euryanthe“, „Oberon“, der erst in London vollendet wurde. In Hosterwitz's Stille wurden die beiden Messen geschrieben, als letzte die G-dur-Messe, die in ihrer frohen Zuversicht den gläubigen Katholiken beweist – und die auch in zwei Eutiner Weberfesten ihre packende Wirkung nicht verfehlte.
Zum engsten Freundeskreis um Weber gehörte Anton Bernhard Fürstenau, der erste Flötist der Dresdener Kapelle.
Er bewies seine Treue, seine Verehrung des Meisters bis zu dessen letzter Stunde in London. Dieser virtuose Holzbläser. der schon als 7-jähriger in der Oldenburger Hofkapelle neben seinem bedeutenden Vater (ebenfalls Holzbläser) mitwirken konnte, war der Neffe des Eutiner Stadtmusikus Carl Bernhard Fürstenau, des dritten Nachfolgers Franz Anton von Webers in seinem Eutiner Amt.
Seit 1798, seit seinem 20. Lebensjahr, hatte Carl Bernhard einer kleinen auserlesenen Kapelle am Eutiner Hof angehört und war 1815 Stadtmusikus geworden. Zwischen den Gliedern der weitverzweigten, in der Musikgeschichte bekannten Musikerfamilie (Flöte, Oboe, Fagott) bestand ein enger Verkehr, so auch zwischen Webers 1. Flötisten und Carl Bernhard Fürstenau. Dies schlug eine Brücke zwischen Dresden und Webers kleiner Geburtsstadt Eutin.
Diese Brücke benutzten Carl Maria und Caroline von Weber, als sie 1820 eine Kunstreise durch Norddeutschland unternahmen, die sie nach Kopenhagen bringen sollte. In Halle, Alexisbad, Göttingen gaben sie ihre Konzerte und wurden gefeiert. Doch erkrankte Caroline schon in Göttingen, wo die Studenten jubelnd Webers Freiheitslieder gesungen hatten. Die Krankheit steigerte sich bis Oldenburg. Dennoch konnte Caroline Weber in einem glänzend gelungenen Hofkonzert, auf das Herzog Peter Friedrich Ludwig, auch Eutins Fürstbischof, gedrängt hatte, singen und Beifall ernten. Doch musste sie nun in Oldenburg zur Genesung zurückbleiben und schweren Herzens ihren Carl Maria allein weiter reisen lassen Er kränkelt selbst. aber um des erwarteten reichen Erlöses der Konzerte willen wollte er die Reise nicht abbrechen.
In Hamburg begrüßte er nach langer Trennung seinen dort als Musikdirektor tätigen Bruder Fridolin (Fritz) und fuhr mit ihm nach Lübeck, wo sich ihr Bruder Edmund zu ihnen gesellte. Beide Brüder, aus des Vaters erster Ehe stammend, waren mehr als 20 Jahre älter als Carl Maria.
Ein letzter Besuch in Eutin (1820)
Dienstag, den 11. September 1820, brachte der Postwagen die drei Brüder nach Eutin. „Neugierig durchlief Carl Maria die Straßen der kleinen Stadt und besuchte sein niederes, aus Fachwerk aufgeführtes Geburtshaus“ (Max Maria von Weber). Durch die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu seinem Neffen in Webers Dresdener Kapelle wusste Eutins eifriger Stadtmusikus Carl Bernhard Fürstenau von Webers Reise und seiner Absicht, auch Eutin zu besuchen. Er hatte in seiner Musiker-Gazette Weg und Ruhm Webers verfolgt und sinnend miterlebt; war er doch selbst, bevor er 1815 sein jetziges Amt übernahm, mit seinem jungen Sohn auf Konzertreisen gewesen. Er hatte nun Weber zu Ehren und zur Freude der Stadt ein Konzert vorbereitet und gute Musici naher und weiter Umgebung begeisternd gewonnen. Man hatte geübt, geprobt, bereit zu sein, wenn der Meister käme. Zu denen, die davon wussten, gehörte auch der Goethe-Maler Wilhelm Tischbein, der seit 1808 dem verblassten Ruhm der Residenz wieder Farbe gegeben hatte, und Dr. Wilh. Voß, der Sohn des Dichters, der in Eutin als Arzt praktizierte.
Brief an Caroline in Oldenburg
Am Abend des Ankunftstages schrieb Weber seiner Caroline nach Oldenburg: „Heute früh fuhren wir von Lübeck ab und kamen auf guten Wegen 1/2 2 Uhr hier an, besahen nach Tisch (bei Ranniger, „Stadt Hamburg“) den (Schloss-)Garten, und nun schreibe ich diese Zeilen bei Herrn Fürstenau, dem Onkel des unsrigen, wo alles bestimmt wurde. Übermorgen ist hier mein Konzert, Freitag in Plön. Alles ist hier arrangiert, ich habe fast nichts zu tun. Die Musiker kommen zu 10, 11 Meilen weit auf ihre Kosten und nehmen nichts. Ist das nicht außerordentlich? Meine Brüder schwimmen hier in alten Erinnerungen, da sie hier erzogen sind. Ich muss jetzt schließen, weil heute Abend eine Probe ist.“
Tagebucheinträge aus Eutin
In Webers Tagebuch finden sich aus seinen Eutiner Tagen folgende Aufzeichnungen:
„12. September. Besuche gemacht. Über Gremsmühlen nach Sielbeck zu Förster (Name unleserlich), Fürstenaus Schwager, gefahren. Mittag da. Dann spazieren um den See. Abend bei Dr. Voß.
13. September. Konzertprobe. Mittag bei Präsident Maltzahn mit seinem Bruder, dem General, und Tischbein. Abends 1/2 8 Uhr Konzert.“
Total-Einnahme: 68 Thlr. 12 Gr.
Unkosten: 8 Thlr. 16 Gr.
Kommt also als reiner Gewinn in Kassa: 59 Thlr. 17 Gr. 6 Pfg.
Das Programm des Eutiner Konzertes ist uns nicht übermittelt, doch steht fest, daß Weber auch als Pianist eigene Kompositionen vortrug. Wo das Konzert stattfand, weiß man nicht sicher, der Überlieferung nach im Rathaussaal. Der Hof war nicht anwesend; Oldenburg war Hauptresidenz des Herzogs geworden.
Der Eutiner Stadtmusikus Carl Bernhard Fürstenau empfing Grüße von seinem Dresdener Neffen und war stolz und beglückt, Weber von dem großen Erlebnis des Vorjahres in Eutin erzählen zu können. Am 18. Juni 1819 war in der von andächtigen Hörern überfüllten Kirche Haydns „Schöpfung“ aufgeführt worden, just 10 Jahre nach der Erstaufführung in Wien, – und Fürstenau war an dem Zustandekommen dieses weithin gerühmten großen Ereignisses hervorragend beteiligt gewesen. Weber dankte ihm erfreut für seine treue Arbeit im Dienst der ihm heiligen Musik.
Die kleine Stadt empfand Webers Anwesenheit als ein Fest, schreibt doch Max Maria von Weber: „Weber wurde aus patriotischem Enthusiasmus so erdrückt, dass er froh war, als er am 14. nach Plön flüchten konnte.“ Dorthin war er eingeladen worden, dass er im Schlosse vor dem geistesschwachen Herzogssohn, dem Prinzen Peter, seinem Hof und geladenen Gästen ein Konzert gebe. Am Morgen des 15. September schrieb er aus seinem Quartier, dem Hotel „Stadt Hamburg“, seiner Caroline: „Guten Morgen, geliebter Schneefuß. – – Gestern nahm ich Abschied von Eutin, war noch bei dem herrlichen Maler Tischbein, aß zu Mittag bei Dr. Voß, und nach Tisch begleiteten mich noch Fürstenau, Herbart und noch zwei andere hierher. Das war ein sehr schöner Weg, eine herrliche Spazierfahrt.“
Aber die Eutiner ließen Weber noch nicht los, sie kamen zu dem Plöner Abendkonzert, so dass der Komponist am 16. seiner Frau berichten konnte: „Gestern hatte ich die Freude, eine Menge Eutiner ankommen zu sehen, die ihren Landsmann nochmals hören wollten, gewiss über 30. Um 11 Uhr gingen die Eutiner weg.
Letzte Jahre und Vermächtnis
Am 22. September trug ein Schiff Weber von Kiel nach Korsör. Nach einer Reihe großer Konzerte in Kopenhagen war er am 12. Oktober wieder in Kiel. Auf der Fahrt von Kiel nach Lübeck nahm Weber in seiner Geburtsstadt keinen Aufenthalt; denn am 14. sollte er in Lübeck ein von seinem Bruder vorbereitetes Konzert geben. Welch eine Fülle schnell aufzuckender Gedanken und Empfindungen mag ihn bewegt haben, als er in der Postkutsche an dem Haus vorüberfuhr, in dem ihn seine innig geliebte Mutter zur Welt brachte!
Die kleine Stadt erfuhr von dem geplanten Lübecker Konzert, und wieder zeigte sich ihre Verehrung und Anhänglichkeit; der getreue Fürstenau und andere Musikbegeisterte folgten ihm, wie vor einigen Wochen nach Plön, nun auch nach Lübeck, ihn noch einmal zu sehen, zu hören, ihn zu sprechen. Am 15. Oktober, schon im Morgengrauen aufbrechend, fuhr Weber von Lübeck ab, über Hamburg, voll Sehnsucht die Fahrt beschleunigend nach Oldenburg, wo seine Caroline ihn erwartete.
Im folgenden Jahr (1821), in der Weber die Uraufführung der „Preziosa“ und seines Werkes erlebte, das den Gipfel seines Ruhms bedeutete, die „Freischütz“-Oper, zeigten sich deutlich die Vorboten seiner schleichenden Krankheit, die in ihrer raschen Steigerung bald als Lungen- und KehlkopfTuberkulose erkannt wurde. Die Freude über das gelungene Werk, die Anerkennung und der Jubel, der ihm entgegenklang, mischte sich mit dem Wissen um die Unheilbarkeit seines Leidens, gegen dessen lähmende Wucht er ankämpfte.
Als er im Begriff war, auf den lockenden Londoner Vertrag einzugehen, riet ein Freund von der anstrengenden Reise ab. Weber antwortete: „Ich erwerbe in England ein gut Stück Geld, das bin ich meiner Familie schuldig. Aber ich weiß sehr gut: ich gehe nach London, um dort zu sterben. Still – ich weiß es!“
In der Frühe des 7. Februar 1826 entführte ein Reisewagen ihn seiner sorgenden Gattin. Dann brach sie in ihrem Zimmer zusammen: „Ich habe seinen Sarg zuschlagen hören.“ Dennoch war es ihr eine Beruhigung, dass Fürstenau sich entschlossen hatte, den verehrten Freund nach London zu begleiten. Am 4. März betrat Weber englischen Boden. Seine Konzerte und Opern-Aufführungen begeisterten London, besonders der „Oberon“, den Weber hier vollendete und der am 12. April uraufgeführt wurde.
Die ermüdende Krankheit und die Sehnsucht nach Hause quälten den unsagbar Leidenden. Am 5. Juni geleitete Fürstenau den Todkranken an sein Bett. Weber dankte in seiner freundlichen Weise für alle Dienste und sagte matt: „Nun lasst mich schlafen!“
Er wachte nicht wieder auf. „Die rastlose Sehnsucht nach der Heimat, nach den Seinen hatte die morsche Hülle der Seele gesprengt. Nun war Ruhe nach all dem Kampf. Er war nicht gestorben, der unsterbliche Meister, er war heimgegangen“, schreibt sein Sohn Max Maria.
Am 15. Dezember 1844 wurde Eutins größter Sohn, dessen sterbliche Hülle seit dem 21. Juni 1836 in Londons Katholischer Kirche geruht hatte, in die Webersche Familiengruft des Dresdener Friedhofs gesenkt. Am offenen Grabe hielt Richard Wagner seine bedeutsame Rede, in der es heißt:
„Nie hat ein deutscherer Musiker gelebt als du! Wohin dich auch dein Genius trug, in welches ferne, bodenlose Reich der Phantasie, immer noch blieb er mit tausend zarten Fasern an dieses deutsche Volksherz gekettet, mit dem es weinte und lachte wie ein gläubiges Kind, wenn es den Sagen und Märchen der Heimat lauscht. – Siehe, nun lässt der Brite dir Gerechtigkeit widerfahren, es bewundert dich der Franzose, aber lieben kann dich nur der Deutsche.“
„Wenn andere ängstlich ringen und streben, so scheint Weber mit der Muse vertraut zu scherzen, und doch weiß er ihr immer die besten Gaben abzulocken, denn er ist ihr Liebling.“E. T. A. Hoffmann
Eutins größter Sohn
Das ist eine kühne Beanspruchung. Sie kann allein aus dem Wissen und dem Willen um eine Verpflichtung gewagt werden. Eutin hat immer die Tatsache, dass hier Carl Maria von Weber geboren wurde, dass es ihn mehrfach wieder hierher zog, als eine solche Verpflichtung empfunden. Es war als Residenz, die bedeutende Geister anzog, stets eine Kleinstadt sonderlicher Art. Besonders seit der Weber-Zeit wurde in ihr gute Musik sorgfältig gepflegt. Dies kam auch in mehreren Weber-Gedenkfesten weithin zum Ausdruck.
Das vorhin erwähnte Haydn-Erlebnis und der bald darauffolgende Besuch Webers in seiner Geburtsstadt hielten den Gemischten Chor von 1819 unter Fürstenaus Leitung zusammen, und der noch jetzt bestehende eifrige „Eutiner Gesang- und Musikverein von 1819 (Kirchenchor)“ leitet seine Herkunft aus jener bewegten Zeit ab. 1853 nahm man das 10-jährige Bestehen der „Eutiner Liedertafel“ als Anlass zu einem großen Männerchor-Treffen in Eutin. Fast 400 Sänger trugen vor dem Geburtshaus Webers Ihre Chöre vor, indessen an ihm die Gedächtnistafel enthüllt wurde.
Der jugendlich-stürmische Organist Carl Heynsen begann 1886 seine Eutiner Wirksamkeit mit einer wohlgelungenen Aufführung des „Freischütz“ am 100. Geburtstag Carl Maria von Webers. Damals beschloss Eutin, seinem großen Sohn ein würdiges Denkmal zu setzen. Kein Platz konnte für dieses Mal geeigneter sein als der Eichenhain am Südeingang der Stadt. Das dichte Laubwerk der dichtstehenden mehrhundertjährigen Eichen schloss dieses Weihtum von der „Welt“ ab. Ein Sohn der ostholsteinischen Wälder, der Schwartauer Paul Peterich, schuf das Denkmal. In einem großangelegten Weberfest im Sommer 1890 wurde es enthüllt. Vor seinem hohen Granitsockel, der Webers Büste und Namen trägt, saß die saitenspielende Muse; zwei singende Knaben standen vor der Rückseite des Werks. In dem reichen Festprogramm, das Solisten von Ruf nannte, stand auch Webers Es-dur-Messe. Sie wurde wie auch die Kantate „Kampf und Sieg“ unter Heynsens Leitung gesungen.
Seit jenem Jahre heißt die Straße, die von Webers Geburtshaus zum Denkmal führt, Weberstraße“ und der Eichenhain: „Weberhain“. Seitdem erklangen in ihm oft manche abendliche „leise, leise, fromme Weise“ und von wanderfrohen Chören stürmische Webersänge, wenn „die Sonn' erwacht mit ihrer Pracht“ oder „die Tale dampfen, die Höhen glühn.“
Weber-Feste und Gedenkfeiern
Eine mehrtägige Gedächtnisfeier zum 100. Todestag Webers im Juni 1926 wurde von Professor Andreas Hofmeier geleitet, der seit 1900 bestimmend für das musikalische Leben in der Weberstadt geworden war. Wiederum wirkten bedeutende auswärtige Musiker mit. Prof. Dr. Stein hielt die Festansprache. Eutiner Chöre sangen unter anderem die G-dur-Messe. „Preziosa“ wurde aufgeführt.
Im Weberfest 1936 (150. Geburtstag) sprach Prof. Peter Raabe in glänzendem Ehrenrettungs-Vortrag über die Musik der Romantik und dirigierte die „Freischütz“-Ouvertüre. Die Gesamtleitung der Tage lag wieder in den Händen Prof. Hofmeiers, der wie 1926 durch seine pianistische Kunst im Programm mehrfach vertreten war. Dramatische Aufführung: „Abu Hassan“.
Auch zum 125. Todestage des Meisters rüstet sich Eutin zu einem Weberfest. Es umspannt die Zeit vom 5. bis 17. Juni, und auch diesmal haben Künstler von Ruf ihre Mitwirkung zugesagt.
Das Kirchenkonzert bringt unter anderem die „Missa Sancta in G“ (Leitung Prof. Hofmeier). Die übrige Leitung hat der Dirigent des „Carl Maria von Weber-Orchesters“ Erwin Jamrosy. Er bietet ein Symphoniekonzert und Ouvertüren. Die „Freischütz“-Aufführung (Regie Kurt Brinck) soll im Schlossgarten stattfinden. Die Konzerte und die Opernaufführung werden an den Sonnabenden und Sonntagen der Sommermonate wiederholt.
Die Festwoche wird mit einer Gedächtnisfeier eröffnet, in der Prof. Dr. Hans Joachim Moser, Berlin. spricht. Er fasst das Urteil über Carl Maria von Weber, der in Eutin das Licht der Welt erblickte, fast alle deutschen Lande durchstreifte und auch als reifer Mann seine Freude hatte am see- und walddurchstandenen Ostholstein, folgendermaßen zusammen:
„Weber gehört nicht zu jenen Großmeistern, deren unerschöpfliche Höchstbegabung nach allen Seilen hin sich gleich wunderhaft ausgewirkt hat; sondern man könnte ihn als Talent ersten Ranges bezeichnen, das sich dank der Schulung auf vielen Gebieten zu einem Meister immerhin (vom höchsten Wertmaßstabe aus) zweiter Größenklasse entfaltet hat, um dann allerdings auf einem Felde, dem der Oper, dennoch zu den wahren Genies aufzusteigen. – Es ist der einzige große Musiker seines alemannischen Stammes seit Jahrhunderten und der einzige, der damals zugleich Mittel- und Norddeutschland neben Musikösterreich so hervorragend vertritt, dass man ihn als Deutschen schlechthin ohne engere Gaubindung empfindet. Das hat ihn schon den Zeitgenossen als Wahrzeichen des geistigen Dranges zur Reichseinheit erscheinen lassen.“
Der Freischütz (Beiblatt 1951)
Musik: Carl Maria von Weber
Text: Friedr. Kind
Uraufführung am 18. Juni 1821 in Berlin
Personen:
- Ottokar, regierender Fürst
- Kuno, fürstlicher Erbförster
- Agathe, seine Tochter
- Ännchen, eine junge Verwandte
- Kaspar und Max, Jägerburschen
- Samiel, der schwarze Jäger
- Kilian, ein reicher Bauer
- Brautjungfern, Jäger, Musikanten, Landleute, ein Eremit.
- Die „wilde Jagd“
I. Vor einer Waldschänke
Der Schützenkönig Kilian hänselt Max, Agathens Verlobten, der schlecht schoss. Kuno mahnt Max, sich bei dem morgigen Probeschießen vor dem Fürsten zusammenzunehmen; sonst müsse er ihm die Tochter versagen. Seitab vom fröhlichen Tanzen bleibt Max verzweifelt zurück. Kaspar, mit dem Teufel im Bunde, zeigt ihm die Wirkung einer „Freikugel“, die nie ihr Ziel verfehlt, und verrät ihm deren Geheimnis. (Die 7. Freikugel gehört dem Bösen; der kann sie hinführen, wohin es ihm beliebt.) Samiel kommt selbst; Kaspar überredet den verzweifelten Max, mit ihm in der kommenden Nacht in der Wolfsschlucht Freikugeln zu gießen, damit er Agathe gewinne.
II. Abend im Forsthaus
Agathe wartet auf Max. Sie wurde geheimnisvoll verwundet, als Max die Freikugel probierte. Max geht unter erfundenem Vorwand nach der Wolfsschlucht –trotz bittenden Einspruchs der Mädchen. Wolfsschlucht. Unheimliche Nacht. Chor unsichtbarer Geister. Unter geheimnisvollen Formeln gießt Max, trotzdem seine Mutter und Agathe ihn geisterhaft warnten, mit Kaspar die Kugeln. Bei der 7. erscheint Samiel – und verschwindet.
III. Waldszene
Tag. Max bekam von den 7 Freikugeln: 4. Er verschoss sie voreilig mit gutem Erfolg und bittet Kaspar nun um eine neue. Vergeblich. Agathes Stube. Agathe im Nachsinnen schwerer Träume, wird geschmückt. Ännchen versucht, sie aufzuheitern. Brautjungfern bringen den Jungfernkranz. Ännchen windet einen neuen aus den Rosen eines gütigen Eremiten.
Romantische Gegend. Max soll auf eine weiße Taube den Probeschuss abgeben; er tut es mit der Teufelskugel, die ihm Kaspar reichte. Unter dem Schutz des Eremiten kann die Kugel, die Samiel Agathe zugedacht hatte, ihr nichts anhaben. Wohl sinkt sie ohnmächtig zu Boden, aber Kaspar, von der eigenen Teufelskugel getroffen, ist tödlich verletzt. Fluchend stirbt er. Max bekennt dem Fürsten sein Vergehen, aber auf Bitten des Eremiten und des Volkes wird ihm verziehen.
Hinweis: Die historischen Texte und Abbildungen dieser Rückschau (bis in die 1950er Jahre) stammen aus den jeweiligen Programmheften und Fotosammlungen und spiegeln ihre Zeit. Sie könnten Begriffe und Darstellungen enthalten, die heute als diskriminierend oder unangemessen gelten. Die Eutiner Festspiele distanzieren sich daher ausdrücklich von solchen Inhalten. Auch die Erwähnung teils umstrittener Persönlichkeiten erfolgt ausschließlich im historischen Zusammenhang. Der digitale Rückblick soll Geschichte transparent machen und zur kritischen Auseinandersetzung mit Sprache, Haltung und Zeitgeschehen anregen. Wo erforderlich, ergänzen wir erläuternde Hinweise. Hinweise auf sachliche Fehler oder notwendige Kontexte nehmen wir gerne unter info@eutiner-festspiele.de entgegen.