
Der Widerspenstigen Zähmung von Shakespeare soll als Musical aufgeführt werden. In den Hauptrollen: Produzent Fred Graham (Petruchio) und Lilli Vanessi (Katharina) – einst glücklich als Ehepaar, doch nun geschieden. Zwar haben beide neue Partner … aber sind die alten Leidenschaften wirklich erloschen? Mal fliegen die Fetzen – mal sprühen die Funken. Kann Fred trotz aller Ohrfeigen, die er kassiert, die widerspenstige Lilli zähmen, so wie es Petruchio mit Katharina versucht? Was ist Bühne, was ist Leben? Was ist Spiel, was ist Ernst? Irrungen, Wirrungen: ein Paar, ein Verlobter, eine Affäre und zwei Ganoven. Ein Blumenstrauß, ein Missverständnis und ein Schuldschein. Ein Feuerwerk an Dialogen und dazu Cole Porters hinreißende Musik: Viel zu heiß … und doch Wunderbar – so wunderbar, dass Kiss me, Kate 1949 den allerersten Tony Award als bestes Musical gewinnen konnte.
DIE HANDLUNG
Wir spielen Shakespeare' Fred Graham und seine Musicaltruppe sollen „Der Widerspenstigen Zähmung" auf die Bühne bringen, aber das wird kompliziert - sehr kompliziert.
Die männliche Hauptrolle, Petruchio, übernimmt Fred selbst. Für die weibliche Hauptrolle, Katharina, hat er seine Ex-Frau Lilli Vanessi engagiert. Die aber ist mit dem Geldgeber des Stücks, Harrison Howell, verlobt - und Fred hat seine Affäre, die Nachtclub-Schönheit Lais Lane, als Katharinas jüngere Schwester Bianca besetzt.
Fred ist ein Macho und Lilli eine Zicke. Was auf der Bühne gut ist, schafft hinter der Bühne Probleme. Auch wenn beide getrennt sind und in neuen Beziehungen leben - so ganz voneinander lassen können sie offensichtlich nicht.
Das Schicksal nimmt seinen Lauf. In Lillis Garderobe wird ein Blumenstrauß abgegeben, der sie an ihre Hochzeit mit Fred erinnert. Ohne die beiliegende Karte zu lesen, betritt sie freudig die Bühne. Das Stück ist in vollem Gange, als sie feststellen muss, dass Freds Strauß und Karte gar nicht ihr, sondern seiner Freundin Lais galten. Außer sich vor Wut stürzt sie sich auf ihren Ex-Mann und lässt ihn ihre verletzten Gefühle ebenso wie ihre Fäuste spüren. Der wiederum packt sie und legt sie übers Knie. Das Publikum ist begeistert, aber es weiß nicht, dass es gar nicht mehr Shakespeare ist, was auf der Bühne gespielt wird. Aber wozu sind die Beteiligten schließlich Profis?
Lilli ist sauer. Sie will nicht mehr weiterspielen und bittet ihren Verlobten, sie abzuholen. Fred wiederum bekommt unerwartet Besuch von zwei Gangstern, die Spielschulden eintreiben wollen. Die aber hat gar nicht Fred gemacht, sondern Bill, der nicht nur eine Nebenrolle im Stück spielt, sondern auch mit Lais Lane befreundet ist. Er hatte einen Schuldschein auf Freds Namen ausgestellt.
Dem wiederum kommt eine Idee: Er verspricht den Gangstern die Abendkasse, wenn sie es schaffen, Lilli zurück auf die Bühne zu bringen. Ihre Pistolen sind die besten Überredungskünste. Der Schlagabtausch zwischen Fred und Lilli kann in die nächste Runde gehen. Da taucht Lillis Verlobter Harrison Howell auf, um seine Braut abzuholen. Fred muss erneut zu einem Trick greifen. Schafft er es, Lilli auf der Bühne zu halten? Und wer zähmt hier eigentlich wen „.7
Matthias Gerschwitz
AM ENDE SIEGT DIE LIEBE
Nur vier Wochen Probezeit- diese enge Terminvorgabe für „Kiss me, Kate" hat Hardy Rudolz einige schlaRose Nächte gekostet. Für seine Regiepläne hat er jedoch schon lange genaue Vorstellungen.
Herr Rudolz, wie oft haben Sie bereits mit Kiss me, Kate als Darsteller zu tun gehabt?
Oha, da muss ich weit in meine Sturm- und Drangzeit als Musicaldarsteller zurückgehen. Ich habe als junger Mann in mehreren Inszenierungen den jugendlichen Liebhaber, die Rolle des Bill/Lucentio in Kiss me, Kate, gespielt. Natürlich habe ich immer mit der männlichen Hauptrolle des Fred/Petruchio geliebäugelt. Mit den Jahren kam dann auch das erträumte Angebot, und das gleich von dem berühmten Schauspielregisseur Hansgünther Heyme, der große Erwartungen an mich stellte. Die Rolle wurde zu meiner Paraderolle, und ich habe sie in mehreren, völlig verschiedenen Inszenierungen spielen dürfen.
Und wie vertraut sind Sie als Regisseur mit dem Stück?
Choreografiert habe ich Kiss me, Kate drei Mal. Und inszeniert bisher anderthalb Mal, einmal richtig verantwortlich und einmal als Co- Regisseur.
Was ist Ihre Lieblingsszene?
Wenn man sich als Darsteller auf ein Stück und eine Rolle wirklich einlässt, gibt es - jedenfalls bei mir - keine Lieblingsszene mehr, dann liebt man einfach alles und ist gierig und völlig besessen, das Stück und die Figur zu erfahren und zu leben.
Aber einen Lieblingssong werden Sie doch haben ...
Unter uns: Ich genoss es immer sehr, Petruchios großes Lied „Die !iebestolle Zeit“ zu singen. Das performe ich immer noch sehr gerne bei Konzerten und kleinen Personalityshows.
Werden Sie in der Eutiner Inszenierung an Ihrem bisherigen Regiekonzept anknüpfen?
Ich werde keine fundamental neuen Wege gehen, sondern mit der Inszenierung Stücktreue bewahren. Die private Krise des Protagonisten-Paares im Musical und der von ihnen als Schauspieler darzustellende Geschlechterkampf in Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung ist eine so herrlich amüsant und geschickt geschriebene Dopplung, dass ich das Stück im Sinne der Autoren, Samuel und Bella Spewack, und des Komponisten Cole Porter inszenieren werde.
Nun kann man über das Maß der Werktreue immer streiten.
Natürlich werde ich der Eutiner Kate meinen Rudolz-Stempel verpassen (Rudolz lächelt selbstironisch). Im Ernst: Ich will das Stück mit einem gewissen Augenzwinkern und einem Tempo, das unserer Zeit und Sichtweise angepasst ist, inszenieren. Dabei wird mir sicherlich auch die Original-Übersetzung des berühmten Insulaner-Kabarettisten Günter Neumann helfen.
Hat die Me-Too-Debatte Ihren Blick auf das Stück verändert?
Ich sehe da zum Glück überhaupt keinen Zusammenhang. Machtmissbrauch durch sexuelle Belästigung, Nötigung oder gar Vergewaltigung kommen in Kate nicht vor.
Die Zähmung widerspenstiger Frauenzimmer klingt heute altherrenhaft. Steht das nicht einer zeitgemäß amüsanten Aufführung im Wege?
Der ewige Geschlechterkampf steht natürlich im Vordergrund meiner Inszenierung. Das ist doch der große Spaß für den Zuschauer, der - mit genügend Abstand zurückgelehnt, ohne dass es ihn wirklich tangiert - von außen zuschauen darf.
Ich warne aber vor den Plätzen in den ersten Reihen, denn es fliegen bei uns nicht nur die Fetzen. Vielleicht werden bei einigen der Gäste auch schmunzelnd Erinnerungen an eigene, kleine Kämpfe erweckt, die sich genau wie bei Kate mit einem liebevollen Augenzwinkern, Boxhandschuhen und Respekt beider Geschlechter voreinander aufgelöst haben.
Stichwort Emanzipation: Spielt dieser zeitgenössische Aspekt bei Ihrer Musical-Interpretation überhaupt eine Rolle?
Ehrlich gesagt nein. Ich bin mir sicher, auch William Shakespeare hätte kein Gespräch mit einer Gleichstellungsbeauftragten für seine Der Widerspenstigen Zähmung gesucht. Und was vor mehr als 400 Jahren schon Thema zwischen den Geschlechtern war, hat sich bis heute kaum verändert, außer, dass wir Männer bald einen Gleichstellungsbeauftragten brauchen. Aber, wie immer siegt die Liebe am Ende ja doch.
In Ihrer Tournee-Inszenierung von Kiss me, Kate fanden vor allem die Tanzszenen viel Zuspruch.
Das ist mir jetzt aber peinlich, ich dachte immer, dass meine Inszenierung den großen Zuspruch fand und nicht nur die Choreografie ...
Genug der Bescheidenheit. Wie lösen Sie das Choreografie-Problem auf der hügeligen Freilichtbühne?
In meiner Eutiner Inszenierung habe ich, mit Vorahnung auf diese Frage, meine Tanzschuhe vollends an den Nagel gehängt. Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Ein Problem für die Choreografie sehe ich für 2019 nicht mehr, denn wir haben mit Vanni Viscusi einen sehr guten, bekannten Choreografen mit Freilichtbühnen-Erfahrung gewinnen können. Die Eutiner Festspiele haben außerdem mit einer von unserem neuen Bühnenmeister und Bühnenbildner Jörg Brombacher völlig neugestalteten Bühne eine mehr als nur musicaltaugliche Spielfläche bekommen.
Auf welche Momente der Aufführungen in Eutin freuen Sie sich?
Wenn meine Inszenierung und mein Humor auf den Geschmack der Zuschauer trifft und jede Kiss me, Kate-Vorstellung ein gelungener Abend oder Nachmittag für die Besucher und Künstler wird.
Interview: Hartmut Buhmann
DAS SOLLTE ICH LUSTIG FINDEN?
Unter dem Titel „Der Widerspenstigen Zähmung" hat Katharina Torwesten am Schleswig-Holsteinischen Lan-destheater einen Ballettabend zur Rolle der Frau im Wandel der Zeit choreografiert. Ihre Überlegungen dazu, ausgeführt in einem Gespräch mit der Dramaturgin Anne Sprenger, sind hier in gekürzter Form zu lesen.
William Shakespeare schrieb vor über 400 Jahren, also in der Renaissance, seine Komödie The Taming of the Shrew. Diese Komödie sah ich zum ersten Mal als Teenager, schon damals löste sie Verärgerung in mir aus. Ein Mann entzieht seiner zwangsverheirateten Frau Nahrung, Kleidung, Schlaf. Am Ende schlägt er sie sogar. Er zeigt ihr: Du bist mir existenziell ausgeliefert, akzeptiere es doch einfach. Nachdem ihr Wille gebrochen ist, fügt sie sich, liebt ihn gar, erkennt in ihm ihren Meister. Er wird als heldenhafter Dompteur gefeiert.
Das sollte ich lustig finden und dazu applaudieren? Schon der Titel irritierte mich als ra-Iähr ige. Ich hatte eine Frau erwartet, die gewalttätig, vielleicht verhaltensgestört ist. Stattdessen sah ich eine Frau, die lediglich an das Recht des freien Willens glaubte, und diese Frau wurde gezähmt, sprich: ihr Wille gebrochen. Was zähmt man denn? Doch nur Bestien und wilde Tiere, alles, was uns Angst macht und was wir uns dienstbar machen sollen.
So könnten wir das im 21. Jahrhundert unmöglich aufführen, nicht vor einem intelligenten, aufgeklärten Publikum. So ergab es sich fast von selbst, den Titel zur Generalfrage zu erheben: Der Widerspenstigen Zähmung - warum?
Warum werden Frauen seit Jahrtausenden in beinahe allen Kulturen unterworfen, herabgewürdigt, gezähmt? Schon die Erzählweise des Sündenfalls in der Bibel (Adam und Eva) ist patriarchal gefärbt. Die Behauptung, Eva ginge aus Adam hervor, ist die Verleugnung eines Naturgesetzes. Natürlich ist er aus einer Frau hervorgegangen und nicht umgekehrt.
Am Anfang der realen Menschheitsgeschichte stand die physische Überlegenheit des Mannes, der die Frau in der Hierarchie absteigen ließ. Antike Philosophen intellektualisierten dann die These von der schwachen Frau und übertrugen sie auf ihre geistigen Qualitäten. So wurde begründet, dass man Frauen von der Bildung fernhielt, was unwissende Frauen zur Folge hatte, die man wiederum als Beweis für ihre Dummheit hernahm - absurd. Wie weit wir jetzt im frühen 21. Jahrhundert mit der Gleichberechtigung sind, darauf können wir keine endgültige Antwort geben. Die #MeToo-Debatte ist äußerst wichtig, aber mir gefallen die hysterischen Tendenzen Einiger nicht, nun alles Männliche unter Generalverdacht zu stellen.
Ich wünsche mir, dass niemand mehr diskriminiert wird, weder Männer noch Frauen. Hört auf, euch gegenseitig zähmen zu wollen, und genießt die Unterschiede, feiert sie sogar miteinander! Leute, verliert euren Humor nicht, lacht übereinander, miteinander und vor allem über euch selbst!
Katharina Torwesten
KÜSS MICH, MUSE!
Cole Porter - schon der Name ist Musik. Seine Songs adeln an die fünfzig amerikanische Shows, Revuen, Filme und Musicals, viele seiner Meisterwerke sind Teil des „Great American Songbook" - der Hall of Farne der amerikanischen Unterhaltungsmusik. Sein Schaffen fällt in die Zeit, als zunächst das Radio zum Massenmedium wird und später in Hollywood das Filmgeschäft boomt. Cole Porter zählt zu den Königen des Broadway-Musicals und den berühmtesten Songwritern Amerikas.
Geboren 1891, wächst er in einer wohlhabenden Familie auf. Seine Mutter fördert die musikalische Begabung des Sprösslings nach Kräften, und der Sohn bedankt sich artig: Mit zehn Jahren widmet er ihr ein sechsteiliges Klavierstück. Die sorgenfreie Kindheit legt den Grundstein für ein musikalisches Grundverständnis, das mit Eleganz und Spritzigkeit nur unzureichend beschrieben ist. Und doch nutzt Porter sein Talent zunächst eher privat: In der Familie, im Freundeskreis oder auf Studentenpartys lässt man sich gerne von ihm unterhalten. Sein erster großer Erfolg bleibt lange ein Solitär: 1911 schreibt er für die Sportmannschaften seiner Universität die Schlachthymne Yale Bulldogs, die noch heute gesungen wird.
Im selben Jahr gelangt zwar einer seiner Songs an den Broadway, doch der Erfolg bleibt aus. Auch die erste eigene Produktion, See America First, fällt 1916 bei Kritik und Publikum durch.
Der New York Herald spottet: Die dümmliche Handlung und die uninspirierte Musik könne man im Höchstfall der stolzen Verwandtschaft bei einer Schulaufführung zumuten ...
Dem Freiwilligendienst im Ersten Weltkrieg folgt ein zehnjähriger Aufenthalt in Europa. Die musikalische und kulturelle Faszination für die „alte Welt“ bestand für Cole Porter schon seit 1909, als ihm sein Großvater zum erfolgreichen High Sehaal-Abschluss eine Europareise geschenkt hatte. 1918 lernt er in Paris die ebenfalls wohlhabende Linda Lee Thomas kennen, die er 1919 heiratet. Obgleich Cole Porter homosexuell ist, wird sie die Liebe seines Lebens und seine Muse - auch wenn sie es ist, die in der gemeinsamen Ehe die größten Opfer bringen wird. Aber das sorgenfreie Leben in Paris, Venedig und an der Riviera entschädigt sie.
1928 beginnt mit der Uraufführung des Musicals Paris am Broadway eine Erfolgssträhne, die ihresgleichen sucht. Hier präsentiert Porter mit Ler's Da It seinen ersten Evergreen und eröffnet damit eine lange Reihe von Hits, deren Texte von einer tiefen und unerfüllten Sehnsucht geprägt sind. Vielen seiner Songs kann man durchaus eine unterschwellige sexuelle Konnotation entnehmen - hier arbeitet Cole Porter seine innere Zerrissenheit ab - und die Musicaltheater, wie auch später der Film, liefern die Kulisse, in der das ungestraft möglich ist. Fast jedes Jahr wird eine neue Produktion uraufgeführt, und jede bringt neue Hits hervor. Hollywood kommt an dem begabten Komponisten nicht mehr vorbei, Porter folgt dem Ruf 1935.
Partys, Premieren und Männer, die ihn umschwärmen und deren Charme und Witz er erliegen möchte, sind nun seine Welt - und doch darf Cole Porter nicht sein, wie er ist, was er ist und was er sein möchte. Er flüchtet sich in den Rausch des Lebens und der Arbeit, während Linda mit Selbstaufopferung versucht, den Schein einer normalen Ehe aufrecht zu erhalten. Es scheint vergeblich, sie verlässt ihn. Aber 1937 - gerade, als sie sich zur Scheidung entschlossen hat - erleidet Porter einen schweren Reitunfall, der seine Karriere ernsthaft gefährden könnte, und sie kehrt ohne Umschweife zu ihm zurück. Dreißig Operationen werden notwendig, um eine Amputation des rechten Beins zu vermeiden, aber seinen Humor lässt sich Cole Porter trotzdem nicht nehmen. 50 Millionen Franzosen können nicht irren, wenn sie Pferde lieber essen, anstatt sie zu reiten, wird er zitiert. Hier hat er bei sich selbst geklaut: Fifty Million Frenchmen ist der Titel einer Revue aus dem November 1929 mit dem unsterblichen Hit You Do Something To M
Der Reitunfall, die Operationen und die Medikamente machen ihm zu schaffen. Die Arbeit fällt immer schwerer, Geldgeber wenden sich ab, der Erfolg bleibt aus. Sein Stern scheint zu verlöschen. Da gelingt ihm, beinahe aus dem Nichts, ein spektakulärer Coup: Kiss Me, Kate wird 1948 ein weltweiter, dauerhafter Erfolg, der 1949 mit dem Tony-Award in der neu geschaffenen Kategorie Musical gekrönt wird. Auch die Wiederaufnahme im Jahr 2000 kann einen Spitzenplatz vorweisen: Sie wird in zwölf Kategorien nominiert, von denen sie fünf abräumt.
Das Spiel mit den Geschlechterrollen, das in Kiss Me, Kate seinen Bühnen-Höhepunkt findet, zieht sich durch einen Großteil seines Schaffens. Viele seiner Texte richten sich sowohl an Männer als auch Frauen - und es ist völlig unerheblich, ob sie von einem Mann oder einer Frau interpretiert werden. Die Songs erzählen von Hoffnung und Begehren, von Sehnsucht und Verzicht ... und jeder einzelne der Klassiker spiegelt eine Facette der Liebe wider: After You, Who Trauer, Ev'ry Time We Say Goodbye Melancholie, I've Got You Under My Skin eine Liebeserklärung, Love for Sale Resignation und True Love ein Versprechen - es gibt keinen einzigen Cole Porter-Song ohne ein tief empfundenes Gefühl. Aber Porter kann auch frivol: Always True To You (In My Fashion) - einer der Klassiker aus Kiss me, Kate - spielt mit dem Nebeneinander von Gefühl und Begehren, von Liebe und Sex, und erteilt dem Seitensprung Absolution. Die Steigerung findet sich in You're the Top aus dem Musical Anything Goes. Der Song gilt auch heute noch als
Ganz eindeutig aber muss im prüden Amerika die sexuelle Orientierung Cole Porters unter dem Teppich - oder, wie man so schön sagt: im Schrank - bleiben. 1946, Porter sollte noch fast 20 Jahre leben, erscheint mit Night and Day ein Film über sein Lebenswerk, der um alle problematischen Details entschärft und moralhygienisch grundgereinigt in die Kinos kommt. Als Treppenwitz allerdings muss die Wahl des Hauptdarstellers anmuten: Cary Grant, der den Songwriter spielt, gilt selbst als zumindest bisexuell.
2004 erscheint mit De-Lovely ein Film, der dem wahren Cole Porter sehr viel näher kommt und auch die Tiefpunkte seines Lebens nicht ausspart. Denn gerade in seinen letzten Jahren wird er immer einsamer und unglücklicher. Der Tod seiner Mutter 1952 und noch mehr der seiner Frau 1954 rauben ihm Kraft. Zwar feiert er 1953 mit Hits wie I Love Paris oder C'est Magnifique im Musical Can-Can große Erfolge, doch wird Silk Stockings (1954, mit Hildegard Knef) sein letztes Musical, Die oberen Zehntausend (1956) und Les Girls (1957) seine letzten Filme. 1958 muss sein rechtes Bein endgültig amputiert werden. Porter wird zunehmend depressiv, zieht sich von der Bildfläche zurück und flüchtet in den Alkohol. Sein Lebenswille ist gebrochen. 1964 stirbt er im Alter von 73 Jahren an Nierenversagen.
Cole Porter hat so viele unvergängliche Hits geschrieben, die von so vielen begnadeten Sängerinnen und Sängern in so vielen unterschiedlichen Versionen interpretiert wurden, dass die Person des Komponisten und Textdichters dahinter beinahe in Vergessenheit geraten ist. Umso schöner ist es, dass im Rahmen der Kiss Me, Kate-Produktion bei den Eutiner Festspielen einem der ungekrönten Könige des Great American Songbook ungeteilte Aufmerksamkeit zuteilwerden kann.
It's De-lovely!
C'est magnifique!
Wunderbar!
Übrigens: Kiss me, Kate ist für Cole Porter nicht einfach nur irgendein Musical. Es ist auch eine Hommage an seine Mutter, zu der er zeitlebens ein sehr enges Verhältnis hatte. Sie, die ihm einst ihren Mädchennamen Cole zum Vornamen gab, hieß nämlich - Kate.
Matthias Gerschwitz
SCHLAG NACH BEI COLE PORTER ...
Wer„Kiss me, Kate" zum ersten Mal erlebt, wird sich wundem, dass der eine oder andere Song geläufig ist. Aber auch, wer die Klassiker von Cole Porter kennt, ist immer wieder überrascht, wo man sie überall hören kann.
Die Melodien sind eingängig, schon die Titel für viele Gelegenheiten verwendbar ... und manchmal genügt es, für den persönlichen Bedarf nur ein einziges Wort zu ändern. Manch einer dürfte gegen Ende von Kiss me, Kate einen „Aha-Effekt“ haben: Da hört man Schlag nach bei ... - und jeder, der die Siebziger Jahre erlebt hat, wird sofort ergänzen ... Otto! - obwohl es eigentlich Shakespeare heißt. Denn der Hamburger Versandhauskonzern nutzte diese Zeile von 1969 bis 1977, um seine Kataloge - und natürlich die darin angebotenen Waren - anzupreisen.
Die Lieder von Cole Porter sind fast alle zu Klassikern gereift, deren Texte bereits zu Beginn eine Geschichte erzählen. Wenn ein Song mit der Zeile: I've got you under my skin beginnt, weiß der Hörer sofort, wohin die Reise geht. Lauten die ersten Worte:
Birds do it, bees do it, even educated fleas do it - ist die Aufmerksamkeit geweckt. Heißt es dagegen: You' d be so nice to come home to, legt sich das wohlige Gefühl des Willkommenseins um die Schultern wie eine warme Decke. Das macht sich die Werbung gerne zunutze - denn auch sie erzählt Geschichten.
Cole Porters Texte passen einfach perfekt. Es gibt wohl kaum eine Kosmetikfirma, die nicht mindestens einmal über die Verwendung von I've got you under my skin nachgedacht hätte. Aktuell läuft er in „Elasten“-Spots im deutschen Fernsehen. Aber auch Chevrolet und der Seat Mii gingen schon mit ihm unter die Haut. Oder Too Darn Hot - Viel zu heiß, ein weiterer Song aus Kiss me, Kate: Was würde wohl besser für die Vermarktung von Ventilatoren passen?
Auch ein großer Sportartikelhersteller - bekannt durch drei Streifen - präsentiert 2003 in den USA eine Linie atmungsaktiver Sportbekleidung mit diesem Titel. Ein Jahr zuvor hatte sich sein größter Wettbewerber in Kanada ebenfalls bei Cole Porter bedient und einen Eishockey-Spot mit Don'r Fence Me In (oder: Sperr' mich nicht ein) unterlegt: Mitten im Match brechen einige Spieler aus dem Stadion aus und verlegen das Spiel in die Schluchten der Großstadt.
Gerade dieser 1934 für einen nie realisierten Western geschriebene Song kann in Nordamerika auf eine bemerkenswerte Werbekarriere zurückblicken: 1999 liefert er Budweiser Bier den Soundtrack zu Freiheit und Abenteuer, zu Beginn des 21. Jahrhunderts nutzt ihn eine Hotelkette als Jingle, 2011 untermalt er für Nokia den Ausbruch Strafgefangener aus einem Gefängnis, 2013 setzt ihn die Tourismusbehörde des US-Bundesstaats Nevada ein, 2016 dient er einem Kreditkartenunternehmen und 2019 zeigt er dem Fahrer des Mini Countryman den Weg aus der engen Stadt. Bereits 2016 hatte VW damit in Australien für seine SUV-Flotte geworben.
Sogar zu Propagandazwecken musste der Song einst herhalten: 1961 - nach dem Mauerbau - spielt ein Ostberliner Radiosender jede Nacht Don't Fence Me In als Titelsong einer politischen Agitationssendung für die in Westberlin stationierten amerikanischen und englischen Soldaten.
Auch Yau Da Samething Ta Me erfüllt mit Hingabe alle Kriterien für den kommerziellen Einsatz. Eine Schweizer Warenhauskette nutzt ihn 2014, um das hochwertige Sortiment zu präsentieren, und ein Jahr später bewirbt der Computerhersteller Dell damit sein neuestes Tablet. Ein regionaler amerikanischer Milchhandelsverband hatte mit dem Song schon Jahre früher die Kuh als Lieferant natürlicher Produkte wertgeschätzt.
2011 geht es Let's Do it an den Text: Statt Birds do it, bees do it heißt es jetzt Blondes do it, Reds do it. Was tun Blondes und Reds? Sie färben sich die Haare. Ob sich Paris Hilton, Hotelerbin und lt-Girl, wohl auch die Haare färbt? 1996 jedenfalls reichen ihr ein Bikini, ein Bentley und ein Burg er für den Spot einer Fastfood-Kette mit dem Slogan I love Paris - musikalisch unterlegt mit dem gleichnamigen Meisterwerk von Cole Porter. 2005 heißt es für den neuen Texas BBQ Thickburger dann I love Texas ... Es ist aber nicht überliefert, dass Paris Hilton dafür ihren Vornamen geändert hätte.
Lovely, um nicht zu sagen: De-lovely ist 2007 die weihnachtliche Werbung eines US-Warenhauses mit der unverwechselbaren Zeile It's Delightful - It's Delicious - It's De-!ovely. Mehr als fünfzig Jahre zuvor hatte die DeSoto Motor Company, eine Chrysler-Tochter, diese Zeile für ihr neues Automodell adaptiert: It's Delightful! It's Delovely! It's De Soto ...
Apropos delicious: 1985 wirbt Heinz Ketchup in Kanada mit verschiedenen Coverversionen von You're The Top für seine Saucen (im Amerikanischen toppings genannt) ... und als der Bremer Kaffeeröster Jacobs Ende der 1980er Jahre in Deutschland die Sorte Night & Day auf den Markt bringt, muss nicht lange nach einem passenden Song gesucht werden.
Das gilt 2008 auch für das Parfümhaus Lancome und seine neueste Kreation Magnifique. Wozu heißt es im Musical Cancan von 1953 schließlich:
When love comes in
And takes you for a spin,
Ooh-la-la-la, c'est magnifique!
Kaum jemand aber weiß, dass Eleanor Roosevelt vor der 1933 erfolgten Wahl ihres Mannes zum 32. Präsidenten der USA wöchentlich eine Radiosendung moderierte, die von der Matratzenfirma Simmons gesponsert wurde. Cole Porter verewigte dies 1934 in seinem Song Anything Goes:
So Missus R., with all her trimmin's,
Can broadcast a bed from Simmons
'Cause Frank/in knows
Anything goes
Hintergründig zielt der Hinweis darauf, dass Franklin D. Roosevelt wohl auch andere Betten als das eheliche zu schätzen wusste ...
Getrost vergessen sollte man jedoch, dass I've Got You Under My Skin 1988 für den Werbespot eines Toilettenreinigers missbraucht wurde: Ein animiertes WC sang I've Got You Und er My Rim (Ich spür' Dich unter dem Rand). Cole Porters Nachlassverwalter hat später zugegeben, dass er da wohl etwas verbockt hatte ...
Matthias Gerschwitz
EIN GENIALER MUSICAL-KOMPONIST
Romely Pfund ist bei den Eutiner Festspielen nach „My Fair Lady" zum zweiten Mal die musikalische Chefin bei einer Musical-Produktion. Im Interview zieht sie tief den Hut vor dem Können des Komponisten Cole Porter.
Frau Pfund, normalerweise dirigieren Sie sogenannte ernste Musik. Zählen Sie Kiss me, Kate auch dazu?
Wenn ich die sogenannte E-Musik, die also viele für ernsthaft und anspruchsvoll halten, und die sogenannte U-Musik, die unterhaltsam und eher heiter sein soll, miteinander vergleiche, finde ich den Ansatz gar nicht so unterschiedlich. In beiden Genres wird kräftig gepunktet mit Mord, Intrige und zweifelhaften Personen, auf die ausgiebig voyeuristische Blicke geworfen werden.
Wie sehen Sie den Komponisten Cole Porter in diesen musikalischen Bezügen?
Cole Porter schrieb raffinierte, augenzwinkernde Musik. Als reicher Mann der amerikanischen Upper-Class, in der er sich auskannte, schrieb er für sein Publikum, das er mit überraschenden Orten, schillernden Künstlertypen und abgedrehten Ganoven begeisterte. Und wer lässt sich nicht gern in solche Welten führen, die so gar nicht mit den Moralvorstellungen der eigenen zusammengehen. Also, die Oper Un ballo in maschera von Giuseppe Verdi und das Musical Kiss me, Kate verbinden jede Menge Abwechslung und Spannung.
Hat sich Cole Porter hörbar von anderen Komponisten inspirieren lassen?
Die Kate ist aus ganz verschiedenen Elementen zusammengesetzt. Der alte Fuchs Cole Porter wusste eben ganz genau, was zu einem guten Musical gehört. Gleich am Anfang startet er mit Premierenfieber, einem Stück mit hinreißenden Showelementen, die uns direkt in die Theater am Broadway führen. Dazu der Big Band-Sound aus Las Vegas, Operettiges und volkstümliche Elemente, urkomisch gesungen von den beiden Ganoven. Durch Cole Porters Trick, das Shakespeare-Stück Der Widerspenstigen Zähmung in eine Rahmenhandlung von Glitzer und Glamour zu packen, werden die Möglichkeiten des Theaters noch einmal erweitert. Der Zuschauer wird hineingezogen in die Farbigkeit der verschiedenen Welten auf der Bühne.
Worin unterscheidet sich für Sie als Dirigentin die Arbeit von der klassischen Opernliteratur?
So ein Musical bedient sich ganz anderer musikalischer Mittel als die Oper, denn statt Rezitativ, Arie und Ensemble stehen im Musical Showelemente oder gefühlvolle Balladen im Mittelpunkt. Die Geschichte dieser Gattung fand ihren Ausgang im New York der Zwanziger Jahre. Im Schmelztiegel verschiedener Ethnien entstand eine unverwechselbare Unterhaltungsmusik aus Elementen wie Jazz, Soul und Popularmusik.
Was heißt das für das Orchester?
Die Besetzung im Orchester ist in Reeds aufgegliedert, also multifunktionale Gruppen, in denen unterschiedliche Instrumente aus dem Klassik-Bereich wie Flöte, Oboe oder Klarinette und Fagott eingeteilt sind, die von Insidern des Musicalgeschäfts auch allesamt gespielt werden können. In der KaPhiL! Lübeck sitzen neben diesen Musicalexperten auch hervorragende Klassiker, die sich die Parts aufgeteilt haben.
Haben Sie eine Lieblingsstelle in der Partitur?
Es gibt eine alte Theaterregel: In jedem Stück, ob Oper, Operette oder Musical, sollen mindestens zwei unverwechselbare Hits sein. Stücke, die man nach der Vorstellung auf dem Nachhauseweg spontan vor sich hin summen oder singen kann. In Kiss me, Kate finde ich viele, die sich vom ersten Hören wie Ohrwürmer festsetzten. Schon als Kind erlebte ich bei meiner Mutter in der Dresdner Staatsoperette Kiss me, Kate, schon damals hat sich bei mir der Titel Es ist viel zu heiß (Tao darn hat) festgesetzt, der sich mit seinem unverwechselbarem Rhythmus, dem fetzigen Sound und witzigen Hintersinn auszeichnet. Aber auch Wunderbar, Schlag nach bei Shakespeare und Wo ist die liebestolle Zeit sind eingängige Stücke.
Welcher Titel ist Ihr Lieblingssong?
Das ist die Liebeserklärung von Lilli an Fred. So in love, im Englischen klingt das einfach besser, auf Deutsch Du bist mein Leben.
Wie leicht oder schwer sind die Melodien zu singen?
Sänger im Musical singen ganz anders als Klassiker. Als Opernsänger inhaliert man die Stimme (inalare la voce aus dem Italienischen), was natürlich nicht wirklich geht. Mit dieser Vorstellung erreicht man aber einen klaren, obertonreichen Klang. Dagegen nennt man die Gesangstechnik im Musical Belten. Das heißt schmettern, aber auch wegwerfen. Man treibt die Bruststimme bis in ganz hohe Lagen, die Klassiker hingegen gleichen Kopf-, Mittel- und Bruststimme aus. Der Klang beim Belten ist eng und metallisch und sitzt nicht im Hals, sondern in der Maske. Wenn also eine Musical-Sängerin oder ihr Kollege einen hohen Ton ansetzen, sieht das ein bisschen so aus, als würde sie oder er in einen Apfel beißen.
Na, saure Mienen werden im Publikum vermutlich die Ausnahme bleiben bei Kiss me, Kate. Was können Sie den Zuschauern versprechen?
Ich bin sicher, dass die Besucher einen mitreißenden Theaterabend erleben werden. Die Musik von Cole Porter macht einfach gute Laune.
Interview: Hartmut Buhmann
Informationen
Inszenierung: Hardy Rudolz
Musikalische Leitung: Romely Pfund
Choreographie: Vanni Viscusi
Bühnenbild: Jörg Brombacher
Bühnenmaler: Alp Arslan Tokat
Kostüme: Martina Feldmann
Licht: Rolf Essers
Maske: Marlene Girolla-Krause
Regieassistenz u. Inspizienz:
Corina von Wedel-Gerlach
Ton: Christian Klingenberg
Produktionsleitung: Anna-Luise Hoffmann
Chorleitung: Romely Pfund
Korrepetition: James Mironchik
Tonassistenz: Judith Angenendt
Dramaturgie: Matthias Gerschwitz
Besetzung
Künstlerisches Team
Hinweis: Die historischen Texte und Abbildungen dieser Rückschau (bis in die 1950er Jahre) stammen aus den jeweiligen Programmheften und Fotosammlungen und spiegeln ihre Zeit. Sie könnten Begriffe und Darstellungen enthalten, die heute als diskriminierend oder unangemessen gelten. Die Eutiner Festspiele distanzieren sich daher ausdrücklich von solchen Inhalten. Auch die Erwähnung teils umstrittener Persönlichkeiten erfolgt ausschließlich im historischen Zusammenhang. Der digitale Rückblick soll Geschichte transparent machen und zur kritischen Auseinandersetzung mit Sprache, Haltung und Zeitgeschehen anregen. Wo erforderlich, ergänzen wir erläuternde Hinweise. Hinweise auf sachliche Fehler oder notwendige Kontexte nehmen wir gerne unter info@eutiner-festspiele.de entgegen.