
Ein Maskenball (Un ballo in maschera) ist ein gefeiertes Meisterwerk des italienischen Komponisten Giuseppe Verdi. Die Oper wurde 1859 in Rom erstmals aufgeführt.
Wenn ein König die Ehefrau des besten Freundes liebt, sollte er aufpassen! Kann die Liebe zwischen dem schillernden König Gustav III. von Schweden und Amelia, der Gattin von Graf Anckarström, bestehen – oder ist dagegen ein Kraut gewachsen? Kann Amelias Schleier die Liebe verhüllen? Kann die Maske den König schützen? Welche Rolle spielt Ulrica, die Wahrsagerin? Treffen alle ihre Prophezeiungen wirklich ein? Verschwörung, Verlangen und Vergebung: Giuseppe Verdis Oper, eine emotionale Achterbahnfahrt, jongliert mit den Themen Liebe und Intrige, Okkultismus und Aberglaube, verletztem Stolz und Rachsucht – und endet schließlich mit Mord.
Die Handlung
VERSTRICKT IM EIGENEN NETZ
Giuseppe Verdis Oper „Ein Maskenball" basiert auf einer Bluttat am Stockholmer Hof: Verschwörer hatten im März 1792 bei einem Maskenball König Gustav III. niedergeschossen. Dieses Attentat inspirierte im 19. Jahrhundert diverse Autoren und Komponisten zu Bühnenwerken. Verdis Version wurde zum musikalischen Denkmal des tragisch endenden Schwedenkönigs aus dem Geschlecht der in Eutin residierenden Fürstbischöfe von Lübeck.
Erster Akt, Bild 1
König Gustavo lässt sich in einer Audienz von seinen Untertanen huldigen, in seiner Selbstverliebtheit nicht ahnend, dass sich unter ihnen eine Gruppe von Verschwörern befindet. Sein Vertrauter, Graf Renato Anckarström, warnt ihn vor gefährlichen Umtrieben und will ihm die Identitäten preisgeben. Doch Gustavo ignoriert dies - die Liebe seines Volkes werde ihn schützen, und in Kenntnis der Namen bliebe ihm nichts anderes übrig, als diese Elemente zu exekutieren. Eine solche blutige Rache liege ihm fern. Vielmehr ist er von Leidenschaft erfüllt: Ziel der Begierde ist ausgerechnet -was wiederum jener nicht ahnt - Renatos Gattin Amelia.
Der Erste Richter des Landes tritt auf und unterbreitet dem König ein Dekret, die Wahrsagerin Ulrica des Landes zu verweisen. Gustavo weigert sich zu unterschreiben. Stattdessen will er sie inkognito aufsuchen, um sich persönlich ein Bild zu machen.
Erster Akt, Bild 2
Audienz bei der Wahrsagerin Ulrica. Der Matrose Christiano begehrt zu wissen, was er als Lohn für seine treuen Dienste für die Krone erwarten könne: Geld und eine Beförderung zum Offizier, lautet die Antwort. Gustavo hat die Voraussage belauscht und lässt diese wahr werden, indem er Christiano heimlich eine entsprechende Urkunde und Bargeld zusteckt. Nun betritt die verschleierte Amelia die Stätte, alle anderen Zuhörer werden entfernt. Gustavo gelingt es jedoch, unbemerkt zu bleiben. Amelia vertraut sich Ulrica an: Sie sei gegen ihren Willen rettungslos in einen Mann verliebt, wolle der verhängnisvollen Leidenschaft aber um jeden Preis widerstehen, um ihre Ehe zu retten. Ulrica empfiehlt ihr, um Mitternacht einen Friedhof aufzusuchen und dort ein liebesheilendes Kraut zu pflücken.
Als Amelia gegangen ist, lässt Gustavo sich seine Zukunft vorhersagen. Ulrica gibt sie nur zögernd preis: Er werde Opfer eines Mordanschlags durch die Hand eines Freundes - und zwar desjenigen, der ihm als nächster die Hand reichen werde. Er tut dies als dummen Scherz ab und ergreift die Hand des inzwischen hinzugetretenen Renato, um die Weissagung ad absurdum zu führen. Dieser lüftet Gustavos Inkognito. Der König begnadigt Ulrica und belohnt sie mit Geld; alle Anwesenden huldigen ihm.
Zweiter Akt
Amelia ist dem Rat der Wahrsagerin gefolgt und hat sich mitten in der Nacht auf dem Friedhof eingefunden. Gustavo ist ihr heimlich gefolgt und gibt sich zu erkennen. Allen inneren Widerständen der Loyalität zum Trotz können sie ihrer Hingabe zueinander nicht widerstehen und erklären einander ihre Liebe.
Renato seinerseits ist Gustavo heimlich gefolgt, um ihn vor den lauernden Attentätern zu warnen. Auf sein Anraten hin tauschen sie die Kleidung. Gustavo ergreift die Flucht, vertraut ihm zuvor allerdings die verschleierte Amelia an. Renato muss ihm versprechen, sie zu beschützen sowie unversehrt und unerkannt zurück in die Stadt zu geleiten.
Die Verschwörer tauchen auf, erkennen aber bald, dass es sich nicht um den gesuchten König handelt. Nun bedrängen sie Renato, die Identität der Frau an seiner Seite preiszugeben. Er widersetzt sich, und beinahe kommt es zum Kampf eines
Zutiefst gekränkt demütigt Renato, verkörpert von Tomohiro Takada, seine ihm vermeintlich untreue Ehefrau Amelia (Signe Ravn Heiberg).
Einzigen gegen eine ganze Meute. Um ihren Mann vor einer Verletzung zu schützen, gibt sich Amelia zu erkennen. Die Verschwörer verspotten Renato höhnisch, mit seiner eigenen Gattin des Nachts auf dem Friedhof zu lustwandeln. Dieser ist tief ins Mark getroffen.
Dritter Akt, Bild 1
Wieder daheim, kennt Renatos Zorn keine Grenzen. Amelia habe die Familie zerstört und für diese Schmach den Tod durch seine Hand zu erdulden. Als letzte Gnade erbittet sie, noch einmal den gemeinsamen Sohn sehen zu dürfen, was er ihr gewährt. Alleine zurückgeblieben, ändert er seinen Plan: Nicht die Gattin soll sterben, sondern der Rivale. Er bestellt die beiden Verschwörer Horn und Ribbing zu sich, um gemeinsame Sache zu machen.
Auf den Königsmord schwören sich (von rechts) Graf Horn (Milcho Borovinov), Renato (Tomohiro Takada) und Graf Ribbing (Philip Björkqvist) ein.
Als der königliche Page Oscar die Einladung zu einem Maskenball überbringt, sinnt Renato darauf, seine vermeintlich untreue Frau endgültig zu demütigen. Sie muss ihn auf den Ball begleiten, wo sie Zeugin des Attentats werden soll - und zuvor noch per Los bestimmen, wer den Mord ausüben soll. Sie zieht den Namen ihres Mannes ...
Dritter Akt, Bild 2
Vor dem Ball. Gustavo versucht, die Wogen zu glätten, damit nicht noch weitere Konflikte entstehen. Er beschließt, Renato in Begleitung Amelias für immer nach London zu entsenden, um zukünftige Begegnungen unmöglich zu machen. Da überbringt Oscar einen anonymen Brief, in dem das geplante Attentat verraten wird. Gustavo aber schlägt die Warnung in den Wind.
Dritter Akt, Bild 3
Der Maskenball ist in vollem Gange. Renato versucht, aus Oscar Details über die Kostümierung Gustavos herauszubekommen. Der geschwätzige Page hat keine Veranlassung, dem „besten Freund" seines Herrn zu misstrauen und plaudert ahnungslos die Kostümierung aus.
Amelia und Gustavo begegnen sich während des Balles; sie warnt ihn vor einem möglichen Unheil - er wiederum beschwört sie, mit ihrem Gatten in ein fernes Land zu gehen. Als sie sich schließlich zu einem Abschied voneinander für immer durchgerungen haben, tritt Renato hervor und erschießt den Monarchen.
Sterbend verzeiht der König seinem Mörder, beteuert die Unschuld Amelias und überreicht Anckarström noch die Entsendung nach London. Renato erstarrt voll Entsetzen über seine von reiner Eifersucht getriebene Tat.
Gustavo hat sich in seinem Leichtsinn und seiner naiven Gutgläubigkeit in die Treue vermeintlicher Freunde selbst verfangen. Amelia ist Opfer ihrer Zögerlichkeit geworden, und Oscar hat in seiner Eitelkeit ungewollt den todbringenden Hinweis gegeben. Verlierer sind sie alle, Opfer des Schicksals, tragisch verstrickt im eigenen Netz.
Matthias Gerschwitz
EIN KOMPONIST PROVOZIERT
„Fake News" ist ein Kampfbegriff, mit dem sich Machthaber unserer Tage dem kritischen Blick unabhängiger Medien entziehen wollen. Dazu bedienten sich früher Diktatoren und gekrönte Häupter der Zensur - davon konnte auch Giuseppe Verdi ein Lied singen.
Ein kunstsinniger, leichtlebiger König fällt ausgerechnet auf einem seiner prunkvollen Feste einem Attentat zum Opfer - sinnfälliger kann die Bedrohung der künstlerischen Freiheit kaum in Szene gesetzt werden. Auf die Bühne gebracht von einem Komponisten, der in den hierarchischen Zwängen des 19. Jahrhunderts ungeachtet seiner Popularität immer wieder an Grenzen stieß. Oder stoßen wollte? Denn immer und immer wieder hat Verdi die Zensur seiner Zeit mit gewagten Sujets provoziert und sich Schwierigkeiten eingehandelt. Man könnte fast meinen, er habe es jedes Mal aufs Neue versuchen und sich partout nicht mit mehrheitsfähigen Stoffen zufrieden geben wollen.
Zwei besonders prägnante Beispiele: In La Traviata steht als Heldin eine Edelprostituierte auf der Bühne - und in Rigoletto sollte ursprünglich ein König ermordet werden. Die Zensur degradierte das Mordopfer zum Herzog und verlangte, wie auch bei La Traviata, weitere umfangreiche Änderungen; unter anderen sollte die Handlung in weiter entfernte Epochen verlegt werden. Zufällige Ähnlichkeiten sollten auf diese Weise verhindert werden. Eine wahre Odyssee in dieser Hinsicht erlebte Verdi mit Un ballo in maschera.
Spätestens seit seinem Dreigestirn (Rigoletto, II Trovatore und La Traviata) genoss der 44-jährige Verdi allerhöchstes Ansehen. Nach Simon Boccanegra aus dem Jahre 1857 stellte sich für ihn erneut die Frage nach einem geeigneten Stoff, als er für die Wintersaison 1857 /58 vom Opernhaus San Carlo in Neapel den Auftrag für eine neue Oper erhielt. Neben einigen anderen Überlegungen spielte er wieder einmal mit dem Gedanken, Shakespeares Lear zu vertonen, verwarf ihn aber wegen der einer Oper nicht eben entgegen kommenden Struktur des Stücks sowie für einige Rollen ungeeignete Sänger - es sollte ein nie erfüllter Traum für ihn bleiben ...
Fündig wurde Verdi bei dem Schauspiel Un ba! musque von Eugene Scribe, der sein Werk bereits zur Vertonung vorgesehen hatte; dessen Wunschkomponist Gioacchino Rossini hatte sich jedoch bereits vom Schaffen für die Opernbühne zurück gezogen. Schließlich vertonte das Libretto Daniel Fr a ncois Aub er, Komponist der bekannteren Opern Fra Diavolo und La muette de Portici. 1833 in Paris uraufgeführt, wurde Gustave III ou Le bal masque zum durchschlagenden Erfolg mit etlichen Folgeaufführungen in vielen anderen Ländern. Weniger Beachtung hingegen fand eine Vertonung von Saverio Mercadente aus dem Jahr 1843. Beinahe hätte sich auch Vincenzio Bellini des Stoffes angenommen; sein früher Tod verhinderte aber die Verwirklichung.
Verdi hatte bei der Wahl seines Librettisten freie Hand; er beauftragte den Rechtsanwalt und hinlänglich guten Autor Antonio Somma (1809-1864), der ansonsten mit keinem anderen Werk in die Geschichte eingegangen ist. Es wurde eine Gemeinschaftsarbeit auf Distanz: Somma konnte Verdis Einladung, das Werk mit ihm gemeinsam auf seinem Landsitz in Sant' Agata zu erarbeiten, nicht nachkommen; so beschränkte sich die Kooperation auf den brieflichen Austausch. Verdi spricht jedoch immer ausdrücklich von unserem Libretto.
Der Entwurf stieß bei der Zensur des Königreichs beider Sizilien, zu dem Neapel gehörte, auf erheblichen Widerstand. Der Forderungskatalog für Umarbeitungen war schier endlos und kam einer völligen Unkenntlichmachung gleich. Das begann bereits beim ursprünglich ins Auge gefassten Titel La vendetta in domino (Die Rache im Domino). Die Zensurbehörde befürchtete wohl, potenziellen Attentätern einen Maskenball als geeigneten Tatort vorzuführen - und damit wäre nicht nur der Titel, sondern auch der Schauplatz des Anschlags entfallen. Dann der Königsmord: Einen Herrscher auf offener Bühne umzubringen, galt als definitiver Zensurgrund; schon Georg Friedrich Händel hatte ein gutes Jahrhundert zuvor in Tamerlano damit zu kämpfen gehabt. Das Opfer sollte lieber ein nicht näher bezeichneter Herr sein. Ebenso wurde moniert, dass das Los über den Attentäter entscheiden sollte. Auch der Beinahe-Ehebruch schien zu pikant; Amelia sollte daher zu einer Schwester Renatos mutieren.
Und letztendlich sollte der ganze Auftritt der Hexe Ulrica entfernt werden; das Königreich wollte sich aufgeklärt geben und keinen Aberglauben befördern. Die Zensur machte gar den absonderlichen Vorschlag, einen ihrer Mitarbeiter eine an Verdis Musik orientierte Bereinigung des Textbuches vornehmen zu lassen, und zwar unter dem ihr genehmen Titel Adeglia dei Adimari.
In einem Brief an seinen Vertrauten de Sanctis mit der Frage, was dann noch von seinem Werk übrig bliebe, lässt Verdi seiner Enttäuschung freien Lauf: Der Titel - nein. Der Dichter - nein. Die Epoche - nein. Die Situationen - nein. Die Los-Szene - nein. Der Maskenball - nein.
Auch Verdis Zornesausbruch in einem Brief an seinen Librettisten Somma spricht Bände: Diese Forderungen können wir unmöglich akzeptieren. Also wird es keine Oper geben; also werden die Abonnenten die zweite Rate ihrer Beiträge dem Theater nicht bezahlen; also wird die Regierung ihre Subvention streichen; also wird die Direktion des Theaters in Konkurs gehen und mir mit einer Schadenersatzklage auf 50.000 Dukaten drohen!! ... Das ist die Hölle'
Schadenersatzklage wurde zwar nicht erhoben, jedoch zog Verdi die Konsequenzen und löste den Vertrag. Sein Verleger Ricordi hatte bereits die Mailänder Scala bewogen, das Werk uraufzuführen, aber der Komponist ließ sich die Revanche
nicht entgehen, seine Oper in Rom, gewissermaßen vor den Toren Neapels, das Licht der Welt erblicken zu lassen. Dort regierte zwar die päpstliche Zensur, die aber - erstaunlich einsichtig - lediglich die Verwandlung des Königs in einen weniger hochgestellten Souverän verlangte. So mutierte Gustav III. von Schweden zu einem Gouverneur von Boston namens Riccardo im weit genug entfernten Amerika. Zu diesem Zugeständnis erklärte sich Verdi bereit - die Verlegung in eine noch weiter entfernte Zeit hätte er rigoros abgelehnt. Ich glaube wirklich, dass das XIII. Jahrhundert für unseren Gustavo zu weit zurückliegt. Das ist eine so rohe, so brutale Epoche(. .. ), dass ich es für groben Widersinn halte, darin französisch konzipierte Persönlichkeiten wie Gustavo und Oscar auftreten zu lassen. Es ist zudem ein so brillantes Drama im Stil unserer Zeit. Man müsste irgendeinen Fürsten, Herzog, Teufel selbst im Norden finden, der etwas von der Welt gesehen und den Duft des Hofes von Ludwig XIV. geatmet hat.
Alle anderen Handlungselemente blieben erhalten, und der endgültige Titel rekurrierte nun wieder in wörtlicher Übersetzung auf die Vorlage. Einige dadurch entstandenen Ungereimtheiten scheinen zu verschmerzen gewesen zu sein: Eine Huldigung, wie sie dem Souverän im zweiten Bild zuteil wird, wäre bei einem Gouverneur schlicht und ergreifend unangemessen gewesen. Und schon gar nicht kann er - wie Riccardo / Gustavo seinen Mörder Renato - einen Gesandten entsenden, erst recht nicht absurderweise nach England, unter dessen Krone Boston ja schließlich stand.
Offensichtlich wogen die kleinen Änderungen nicht zu schwer, waren doch von dem historischen Gustav wenigstens andeutungsweise Charakterzüge übergeblieben, vor allem die verschwenderische Prunksucht des kunstbeflissenen Königs.
überdies lag der Schwerpunkt deutlich auf der tragischen Dreiecksgeschichte. Der oftmals als recht zügellos promisk beschriebene Herrscher wird bei Verdi - fast im Widerspruch zu seinem selbst gezogenen Vergleich mit einem Teufel - zum beinahe empfindsam Liebenden; in das Verhältnis zu Oscar ließe sich mit viel Phantasie sogar noch mehr hinein interpretieren (verbürgt jedenfalls sind Affären des Königs mit seinen Pagen).
Die politische Motivation zur Tat, nämlich die Entmachtung des Adels, scheint nur kurz in den knappen Statements der Verschwörer durch. Andererseits wird auch den strafrechtlichen Reformen des Monarchen kein großer Platz eingeräumt. In Un ballo in maschera beschränken sich diese Hinweise auf die Weigerung des Monarchen in der Richterszene, Ulrica ohne Prozess in die Verbannung zu schicken, sowie auf die Szene mit dem Matrosen Christiano, den der König ohne Ansehen der Qualifikation befördert, nur um zu beweisen, dass Ulricas Vorhersagen auch eintreffen.
Matthias Gerschwitz
DIE MACHT DER GEFÜHLE
Dominique Caron lotet in ihren Inszenierungen die Seelentiefe aller Figuren einer Oper mannigfaltig aus. Das macht ihre Probenarbeit mit den Solisten o~ zu Lehrstunden der Psychologie. Im Interview legt die Regisseurin dar, welche Triebkräfte die Protagonisten in Verdis „Ein Maskenball" bewegen und wie sie die historische Rolle des Königs Gustav III. von Schweden sieht.
Un bal!o in maschera handelt - wie so oft bei Verdi - von der typischen Konstellation einer Frau zwischen zwei Männern. Worin liegt in dieser Oper die Besonderheit?
Das. was Giuseppe Verdi hier wieder einmal so unglaublich schön vertont. ist in der Kunst allgemein oder in der Belletristik schon lange zuhause. Zuneigung, Liebe, Leidenschaft ... aber auch Hass. Neid und Gier - alles Eigenschaften. die uns Menschen in unserer Genetik gegeben zu sein scheinen. nicht wahr? Sie sind also Mitgift wie auch Gift des Menschenlebens' Verdi stellt in Bal!o die Liebende. Amelia. vor eine unmögliche Wahl. Sie hat durchaus Gefühle für ihren Mann. Renato Graf Anckarström, und sie liebt den gemeinsamen Sohn. Eigentlich geht es ihr gut, und sie ist mit ihren Lebensumständen zufrieden. Doch Gustavo. für den sie eine leidenschaftliche. fast beängstigende Liebe empfindet. ist der Tsunami ihres Lebens. Sie steht ihren Gefühlen für ihn machtlos gegenüber. Dabei würde sich Amelia - trotz ihrer echten Gefühle für Gustavo - stets für die familiäre Pflicht entscheiden. Ich glaube, sie könnte auch gar nicht anders. Erziehung und Konvention zwingen sie förmlich dazu.
Und wie stehen die Männer zu Amelia? Können wir wirklich von Liebe sprechen, oder ist Renato nicht eher von Besitzdenken geprägt? Und was ist mit Gustavo, dem König? Er ist ein Hasardeur, der von einer flüchtigen Liebschaft zur nächsten eilt - nicht unähnlich dem Duca in Rigoletto. Was bedeutet ihm Amelia?
Der 2. Akt erzählt viel über Renatos Charakter. Er hat sich seine Loyalität erkämpft; er eilt dem König zu Hilfe, um ihn vor den Attentätern zu warnen. Er ist bereit, für Gustavo sein Leben aufs Spiel zu setzen, damit der König entkommen kann. Er bietet sogar an, die verschleierte Dame - ohne Fragen zu stellen - zurück in die Stadt zu begleiten. Doch nachdem die Attentäter und Renato entdecken, dass es sich hierbei um Renatos eigene Ehefrau Amelia handelt und verständlicherweise schlussfolgern, dass sie die heimliche Geliebte des Königs ist, wirft er ihr vor, die Familie zu zerstören.
In seinem Weltbild kann er nämlich nicht akzeptieren, dass sie überhaupt Gefühle für jemand anderen als ihn, ihren Mann, entwickeln kann. Noch größer aber ist die Wut auf Gustavo; der vermeintliche Verrat des Freundes sitzt zu tief. Die Attentäter verspotten ihn und geben ihn der Lächerlichkeit preis. Das ist die schlimmste Verletzung der männlichen Eitelkeit! In seinem Herzen ist nur Platz für Hass. Für Mord. Und so wird er zum Attentäter.
Gustavo ist, glaube ich, weniger in einen Menschen verliebt als in die Idee der Liebe an sich. Er ist ein Feingeist, liebt Frauen und schöne Dinge. Er kann nicht anders; es ist einfach seine Persönlichkeit. Er begeistert und berauscht sich sehr schnell und kann andere mitreißen. Aber: Im entscheidenden Moment siegt auch bei ihm die Vernunft und er ist Staatsmann genug. So macht er zum Beispiel Pläne, um Amelia mit Renato nach London zu entsenden, wo sie vor seiner Liebe sicher ist. Doch die Würfel sind da schon längst gefallen und haben über Leben und Tod, Glück und Unglück entschieden. Er, der sonst immer alle anderen mitreißen konnte, ist nun selbst in den tödlichen Strudel geraten.
Wer ist für Sie die wirklich tragische Figur in dem Stück?
Ganz klar Renato. Er ist ein Hundertprozentiger: Er dient dem König zu 100%, er hasst den König zu 100% ... und er irrt zu 100%. Kann es etwas Tragischeres geben? Für ihn ist in dem Moment alles zu spät, als er seine Tat begreift. Hatte er zuvor Amelia für die Zerstörung seiner Familie verantwortlich gemacht, ist es doch nun er selbst, der alle ins Unglück stürzt.
Aber auch Amelia ist eine tragische Figur: Sie erlebt die tödliche Auseinandersetzung zwischen Gustavo und ihrem Mann, kann und wird aber nichts verhindern. Auch wenn sie den König auf dem Maskenball eindringlich vor dem bevorstehenden Attentat warnt, sagt sie doch kein Wort darüber, wer der Attentäter ist: Sein bester Freund ist es, ihr Mann: Am Ende müssen - so sehe ich das - alle als Mittäter oder Mitwissende den Kopf hinhalten. Alle tragen eine Mitschuld am Tode des Königs.
Die Rollen der Ulrica und des Oscar sind scheinbar simpel gezeichnet, aber wenn man genauer hinschaut, sind sie doch sehr vielschichtig. Sie werden auch gern auf vielfältige Weise interpretiert. Wie sehen Sie diese Figuren, wie wichtig sind sie für die Handlung?
Das ist eine interessante Frage. Für das Publikum scheint zwischen Gustavo, Amelia und Renato eine gewöhnliche Dreiecksgeschichte zu existieren, aber das würde viel zu schnell langweilig. Zum Glück erdachten Verdi und sein Librettist Antonio Somma den eitlen, aber charmanten Pagen Oscar - und damit eine Rolle, die oft unterschätzt wirdl Oscar ist nicht nur eine Quasselstrippe, sondern schicksalhaft mit Gustavo verbunden. Er ist es ja, der die Begegnung des Königs mit der Seherin Ulrica erst ermöglicht. Aber er ist auch der prahlerische Angeber, der den König während des Maskenballs, wenn auch unwissentlich, an seine Mörder verrät. Er ist Gustavos Schwachstelle. Und das Gegenteil des alten Sprichworts! Bei Oscar heißt es nämlich: Jugend schützt vor Dummheit nicht!
Ulrica, die Seherin, ist da ganz anders. Oft wird sie als Hochstaplerin dargestellt, aber wenn man von Verdis Musik ausgeht, steht eine ganz andere Geschichte dahinter. Ihre Figur ist historisch verbürgt; Ulrica Arvidson hatte seinerzeit die Ermordung des Königs vorausgesagt. Deswegen wurde sie nach dem Attentat auch verhört - wobei man die Art und Weise des Verhörs eher als Folter bezeichnen würde. Wie könnte ich sie also der Scharlatanerie bezichtigen, wenn es doch Verdi auch nicht tut? Ulrica verkörpert das Schicksal, das Rad des Lebens, aber auch das des Todes. In die Zukunft sehen zu können, verstehe ich weniger als Gabe denn als unglaubliche Last. Schließlich hat ihr Blick hier Konsequenzen! Sie sieht Gustavos nahenden Tod vorher und gewinnt dabei Einblick in die Schicksale aller Beteiligten und damit auch in ihr eigenes. Das Rad des Lebens und des Todes dreht sich für alle. Das möchte ich in dieser Inszenierung zeigen. Daher ist Schicksal für mich das zentrale Thema. Die Fragen lauten: Ist Schicksal v
Verdi hat ja keine politische Oper geschrieben, aber trotzdem hat die Zensur an die Fassung Hand angelegt. Sie haben sich entschieden, in Eutin die originale Stockholm-Fassung zu präsentieren statt der entschärften Boston-Version. Welche Rolle spielen in Ihren Überlegungen die Politik und der schwedische König Gustav III.?
Offen gesagt: Gäbe es nur die Dreiecks- und Liebesgeschichte, wäre diese Oper trotz Verdis großartiger Musik als Bühnenwerk wenig spannend und wahrscheinlich auch gar nicht so berühmt geworden. Aber der historische Hintergrund, das Attentat auf den schwedischen König Gustav III., das in der Nacht vom 15. auf den 16. März 1792 während eines Maskenballs in der Stockholmer Oper verübt wurde, macht aus der Oper eine Besonderheit' Zwar starb der Monarch erst 14 Tage danach an einer Blutvergiftung, doch sorgte die Tat in Europa, den amerikanischen und den spanischen Kolonien für großes Aufsehen.
Mich interessiert der politische Aspekt durchaus. Gustav III. hatte kurz nach seiner Krönung im Jahre 1771 die Rechte des damals übermächtigen Adels stark eingegrenzt. Er, der vor der französischen Revolution selbst in Paris gelebt hatte, vollbrachte in Schweden das, was das Volk in Frankreich sich von seinem König, Ludwig XVI., so sehr gewünscht hatte: Veränderungen' Und Gustav III. hatte so viele Gesichter' Er war Machtpolitiker, Kriegsherr, Aufklärer, Reformer, Träumer, Charmeur ... er war gegen die Todesstrafe und führte die Pressefreiheit ein! Unter seiner Regentschaft erlebten Theater, Literatur und die Oper einen einmaligen Aufschwung. Er gründete die schwedische Akademie, die heute noch den Literatur-Nobelpreis vergibt, ließ die Königliche Oper erbauen, versäumte dort kaum eine Vorstellung und holte viele Künstler an seinen Hof. Er hatte allerdings auch die fatale Fähigkeit, sich Feinde zu machen. Und diese „Gabe" wurde Gustav schließlich zum Verhängnis. Kurz gesagt: Er war eine der schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeitl
Zuletzt eine vielleicht etwas provokante Frage: Sie verabschieden sich von Eutin mit einer Oper, die vom Mord an einem König handelt, der sein Land zur kulturellen Hochblüte geführt hat. Sie selbst haben den Eutiner Festspielen auch eine viel beachtete, künstlerisch hochwertige Ära beschert. Welche Botschaft haben Sie für die Zukunft der Festspiele?
Ich wünsche den Festspielen für die Zukunft nur das Allerbeste, denn ich habe sie innig geliebt und mit Haut und Haar verteidigt. Aber man muss auch loslassen können. Oder - in einem Satz: Der König ist tot, es lebe der König!
Das Interview führten Matthias Gerschwitz und Wolf Borchers
GIUSEPPE VERDI UND EUTIN
Unter der Intendanz von Dominique Caron lag ein Schwerpunkt der Eutiner Festspiele auf Verdi-Opern. So brachte sie in ihrem ersten Amtsjahr „Nabucco" auf die Seebühne - nun präsentiert sie 2019 als krönenden Abschluss „Un ballo in maschera" (Ein Maskenball).
Verdi ist für die gebürtige Pariserin nicht nur ein anspruchsvoller Komponist, sondern auch ein genauer Beobachter seiner Zeit, der nie die Augen vor der Realität verschlossen oder sich in irgendeine musikalisch utopische Welt geflüchtet hätte. Verdi, der sich selbst gern als urkräftigen Bauern bezeichnete, wirft in jeder seiner Opern einen kritischen Blick auf die Gesellschaft; so beschreibt Dominique Caron ihre Begeisterung für den in der heutigen italienischen Provinz Parma geborenen Tondichter.
Immer wieder hat er auch eigene Erfahrungen in seine Arbeit einfließen lassen. Das legt die Intendantin im Folgenden ausführlich dar: „Giuseppe Verdi war ein tiefgläubiger Mensch. Folglich handelt zum Beispiel die Oper Nabucco vom Glauben an Gott angesichts des drohenden Todes. In II Trovatore erzählt er auf geradezu beängstigende Art, was Ausgrenzung und Repressalien für Minderheiten und Andersdenkende bedeuten - und wie junge Menschen, die erleben müssen, dass ihre Eltern auf unvorstellbare Weise durch Hass und Unwissen zu Tode kommen, als Erwachsene selbst zu Tätern werden. Aida, musikalisch atemberaubend schön, zeigt allzu deutlich, dass die Liebe gegen die Staatsräson keinerlei Chance hat.
La Traviata, die im Konzert der großen Verdi-Opern einen besonderen Platz einnimmt, führt dem Opernbesucher das heuchlerische Großbürgertum vor: Violetta, die allseits begehrte Kurtisane, mag im Kreise der gut betuchten, sich amüsierenden und zumeist männlichen Gesellschaft ein funkelnder Diamant sein ... doch dazugehören wird sie nie. Daran zerbricht sie.
Mit dieser Gesellschaft hatte auch Verdi selbst seine Erfahrungen machen dürfen: Zwölf]ahre lang stand er wegen seiner außerehelichen Liaison mit der Opernsängerin Giuseppina Strepponi in der Kritik, bevor er die Verbindung 1859 legitimierte.
Mit Un ballo in maschera schließlich erreicht der Komponist nicht nur eine neue schöpferische Ebene, sondern er präsentiert auch eine ungemein mutige Oper. Zu einer Zeit allgegenwärtiger Zensur handelt sein Werk von der Ermordung des schwedischen Königs' Wäre Verdi zu diesem Zeitpunkt nicht schon lange zu einem gefeierten Komponisten avanciert gewesen, hätte Ein Maskenball im turbulenten Italien des Jahres 1859 niemals das Licht der Welt erblicken dürfen. Glücklicherweise kam es anders."
Das Interview führten Matthias Gerschwitz und Wolf Borchers
MUSIKALISCHE HÖHEPUNKTE
Hilary Grifftths hat Verdis „Maskenball" schon oft dirigiert, in Prag, Hongkong und auch 2002 in Eutin. Sein Urteil: „Das Stück ist sehr gut für die Freilichtbühne geeignet." Im Interview stellt er die musikalischen Besonderheiten der Oper vor.
Un ballo in maschera ist ohne Zweifel ein Meisterwerk. Aber wie setzt sich diese Oper von den anderen großen Werken Verdis ab?
Die Oper ist mit berühmten Arien bestückt - man denke an Eri tu von Renato, Re dell'abisso von Ulrica, Morr6 von Amelia, Ma se m'e forza perditi von Gustavo und die zwei Arietten des Oscar. Tatsächlich wird jeder Solist reichlich bedient. Meine größte Bewunderung gilt jedoch den Ensembles: den Duetten, Terzetten, Quintetten und großen Finali der einzelnen Akte. In keiner anderen Oper Verdis tragen die sogenannten concertati und insiemi 1) solches Gewicht; sie sind die musikalischen Höhepunkte. Vielleicht deswegen hat dieses Werk für mich eine solche Einheit und eine strukturelle Ausgeglichenheit, die nur mit Mozarts Le Nozze di Figaro zu vergleichen ist.
1 In der italienischen Musikwelt geläufige Fachbegriffe für Gesangsensembles im Szenenverlauf
Welche Funktion haben die Ensembles in Ein Maskenball?
Beobachten Sie, wie raffiniert Verdi im Quintett im zweiten Bild die ganz unterschiedlichen Gefühle der Figuren in ein großes Ensemble einbindet. Ulrica hat gerade den bevorstehenden Mord an Gustavo verkündet; Gustavo lacht sie aus, Oscar singt in langen Bögen über seine Sorge um Gustavo, Ulrica bohrt weiter mit ihren Warnungen, und die zwei Verschwörer singen in kurzen Phrasen um ihre Angst, dass sie ertappt werden. Vergleichen Sie dies mit dem Ende des zweiten Akts. In einem ähnlich dramatischen Moment wird Amelia vor ihrem Mann Renato als Gustavos heimliche Liebe enttarnt. Hier schlägt die Stimmung um, nicht aber in ein helles, positives Lachen, das die Situation entschärft, sondern in ein dunkles, höhnendes, ironisches Gelächter, das die Tragödie hin zu ihrem Ende treibt.
Gustavo und Oscar gehören ohnehin zu den hellen, positiven und energischen Figuren (so auch in ihrer Musik). die Verschwörer und Ulrica zur dunklen Seite. Im Lauf der Oper wechselt Renato von der hellen zur dunklen Seite hinüber; noch ein Beispiel des unvergleichlichen Chiaroscuro 2) dieser zukunftsweisenden Partitur. Nur im letzten Finale gibt es einen kurzen Moment der Helligkeit, als Gustavo vor seinem Tod allen vergibt, bevor die letzten zehn Takte ein dramatisches und tragisches Ende signalisieren.
2 Hell-Dunkel-Malerei, ein grafisches Gestaltungsmittel vor allem der Spätrenaissance und des Barock
Sie sagen zukunftsweisend, wie meinen Sie das?
Im großen Liebesduett des zweiten Akts gibt es einen Moment, in dem der Keim der Entwicklung italienischer Musik der nächsten fünfzig Jahre hörbar wird: das Verismo. Mitten im zentralen Stück der Oper fängt plötzlich das Orchester an, die melodische Führung zu übernehmen. Zuerst die Celli, dann alle Streicher und sogar die Trompeten singen das große Liebesthema, und die Sänger singen mit - so als seien die Emotionen nun so überwältigend, dass die menschliche Stimme allein nicht ausreicht, sie auszudrücken. Und da begegnen wir zum ersten Mal einer Textur, die wir von Puccini sehr gut kennen - für einen Moment stehen Tos ca und Cavaradossi statt Amelia und Gustavo auf der Bühne.
Hartmut Buhmann
STICHWORT MASKENBALL
Masken sind ein magisches Versprechen. Wer sein Gesicht hinter einer Maske verbirgt, wechselt wie von Zauberhand Aussehen, Identität, Rolle, Status, Geschlecht. Alle Kulturen kennen diese Verwandlung, der älteste belegte Maskenfund ist rund 11 ooo Jahre alt.
Aus rituellen Masken, die - tatsächlich überall auf der Welt - vornehmlich in spirituellen Zeremonien zum Einsatz kamen, entwickelten sich vermutlich die Theatermasken. Diese machten es jedem Zuschauenden noch bis in die letzte Reihe leichter, die Bühnenhandlung zu verstehen; Kasperle und Harlekin etwa stehen in dieser Tradition.
Als dann die höfischen Gesellschaften Europas den Reiz der Maskierung für sich entdeckten, ging es vor allem um einen spielerischen Bruch mit der festgefügten Ordnung des hohen Adels - für die Dauer eines Maskenballs wurde der König zum Bauern, die Herzogin zur Schäferin, und jeder konnte sich jedem nähern, ungeachtet seines Standes.
Sonnenkönig Ludwig XIV. feierte in Versailles die heißesten Maskenbälle seiner Epoche, und Venedigs Haute Volee liebte das zunächst festliche Maskentragen derart, dass ab dem 17. Jahrhundert Maskierte rund ums Jahr zum Alltagsbild gehörten. Adlige aus vielen Ländern reisten in die Lagunenstadt, um sich inkognito zu vergnügen - unter ihnen mehrfach auch Gustav III. von Schweden. Eine Leidenschaft, die ihm zum Verhängnis werden sollte ...
„DIE SCHRÖCKLICHE NACHRICHT"
Das Attentat auf den schwedischen König rief im Frühjahr 1792 in Europa, das ohnehin durch die französische Revolution aufgewühlt war, große Anteilnahme hervor.„Die Bestürzung über den mörderischen Anfall auf das Leben der geheiligten Person des Königs ist unbeschreiblich", heißt es in einer am 19. März 1792 in Stockholm verfassten Nachricht.
Diese Meldung erreichte per Kurier am 27. März Hamburg und wurde Anfang April in der Augspurgischen Ordinari Postzeitung publiziert. Augsburg war damals ein Zentrum der Drucktechnik; die Postzeitung unterrichtete ihre Leser aus verschiedenen Quellen kontinuierlich über das spektakuläre Geschehen in der schwedischen Hauptstadt.
Einige dieser Nachrichten sind hier auszugsweise und in ihrer historischen Schreibweise zu lesen. Bei den Veröffentlichungsdaten ist zu bedenken, dass in der Postkutschenzeit Kuriere und Briefe aus dem hohen Norden meistens wochenlang bis zu ihren Empfängern in deutschen Landen unterwegs waren.
Schreiben aus Stockholm vom 20. März, publ. am 7. April 1792
Es war beym Abendessen, ehe der König zum Ball ging, als durch ein Billet ohne Namensunterschrift in den lebhaftesten und dringendsten Ausdrücken gewarnt ward, sich nicht dahin zu begeben ... Als der König am vorigen Freytage, den 16. März, um drey Viertel auf 11 Uhr des Abends, zu dem Ball en Masque im Opernsaal gekommen war, näherte sich ihm unter andern daselbst versammelten Masken eine unbekannte Maske, und schoß ihn oberhalb der linken Hüfte, nicht weit vom Rückgrad. –
Obgleich die Wunde schwer war, hatte der König doch noch so viel Kräfte, daß er in ein benachbartes Kabinet gehen konnte, wo sich Se. Majestät auf und mit den Herren von seinem Gefolge so lange noch ganz munter unterhielten, bis die herbeygerufenen Aertzte ankamen, welche die Wunde untersuchten, und die erste Verbindung derselben machten. Hierauf begaben sich Se. Majestät nach dem Schlosse, wo man Ihn des Morgens um 4. Uhr zur Ader ließ. -
Nachdem der Pistolenschuß im Opernsaal geschehen war, fand man daselbst zwei Pistolen, mit deren einer der Meuchelmörder den Schuß gethan hatte; die zweyte war mit zwei Kugeln und vielem Hagel mit Nagelspitzen geladen. Der Meuchelmörder, der verabschiedete Kapitain. Ankerström, ward den Tag darauf des Vormittags um 10 Uhr entdeckt und in Verhaft genommen. Er gestand sogleich sein Verbrechen, und sagte, daß sein abgeschossenes Pistol mit zwei Kugeln, einer runden und überdieß mit 12 Hagelkörnern und 7 kleinen Nagelspitzen, und daß das andere Pistol fast ebenso geladen gewesen sey, auch daß er noch mit einem grossen geschliffenen Messer, an welchem ein Hacken angebracht war, versehen gewesen sey. -
Die Ärzte haben sowohl der Königl. Familie als den consternirten Einwohnern der Stadt die Versicherung gegeben; daß, obgleich die Wunde noch nicht völlig gereiniget sey, doch alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß der Schuß nicht diejenigen Theile berührt habe, deren Heilung bedenklich oder gefährlich sey. Auch befindet sich der Monarch so wohl. wie es die Umstände mit sich bringen können, so, daß er etwas Schlaf genossen. Er hat übrigens die Operationen der Wundärzte und die Schmerzen der Wunde mit der größten Ruhe und Seelenstärke ertragen, und auf seinem Bette mit der Königl. Familie, mit verschiedenen seiner Hofleute, mit den Reichsbeamten und den fremden Ministern gesprochen. Man hat grossen Verdacht, daß ein zahlreiches Complot von Menschen vorhanden sey, die sich gegen den König verschworen haben. Es werden täglich verschiedene Personen in Arrest genommen. Gestern war der Graf Claude Horn und der GrafRibbing arretirt. Die Consternation in der Hauptstadt ist unbeschreiblich. -
Schreiben aus Hamburg, den 7. April. publ. am 16. April 1792
Was man von Anfang befürchtete, ist eingetroffen. Gustav ist nicht mehr. Er starb an den Folgen des Schusses, der nicht aus dem Leibe zu bringen war. Aber er starb mit einer Standhaftigkeit, und Heiterkeit des Geistes, wie nur wenige Menschen, geschweige denn Monarchen sterben.
Hamburg, den 14. April, publ. am 23. April 1792
König Gustav hatte in seinem Leben die Gabe, die Herzen der meisten Menschen, die mit ihm umgiengen, zu gewinnen. Er sprach so herzlich und einfach, wie ein Freund. Er besaß ausgebreitete Kenntnisse, und besonders hatten seine öffentlichen Reden Stärke und Zierlichkeit. Er schlief wenig, trug leicht die größten Beschwerden, und war außerordentlich thätig. Ihm fehlte eine Welt, sie zu beherrschen: und dazu war sein großer Geist eher geschaffen, als in dem volksleeren Schweden eingeschränkt zu regieren.
Schreiben aus Stockholm vom 19. März, publ. am 9. April 1792
Der Meuchelmörder Ankerström ist ein junger bemittleter Mann, der eine Bedaurungswürdige Frau, und Kinder hat. Er zeigte bey dem ersten Verhör eine satanische Gleichgültigkeit, und brauchte den fürchterlichen Ausdruck: er habe durch den Mord des Königs dem Vaterland einen wichtigen Dienst erweisen wollen. Gott, in welchen Zeiten leben wir, und wie reich sind unsere Tage an schauerlichen Auftr ittenl Welche Sensation wird der Unfall unsers geliebten Monarchen in ganz Europa hervorbringen!!
Schreiben aus Stockholm vom 20. April, publ. am 7. Mai 1792
Anfänglich zeigte der Mörder viele Frechheit und gute Contenance, wurde zuletzt aber von der rauhen Witterung und den empfangenen Ruthen so schwach, daß er sich von den Henkersknechten die Treppe herunterschleppen lassen musste. An künftiger Mittwoche wird das Todesurtheil auf dem Richtplatz an ihm vollzogen, kraft dessen er die rechte Hand und den Kopf verlieren, der Körper aber gevierteilt und aufs Pfählen gelegt werden soll.
Schreiben aus Stockholm vom 27. April, publ. am 15. Mai 1792
Heute Mittag ward das über den Meuchelmörder Ankarström gesprochene Urtheil an ihm vollzogen. Ihm ward der Kopfund die rechte Hand abgehauen, worauf der geviertheilte Körper mit dem Kopfe auf Pfähle gesteckt ward.
Bey den Verhören hat Ankarström nichts geleugnet, sondern seine Pistolen und das Messer erkannt, und zugleich eingestanden, dass das Messer dazu bestimmt gewesen sey, um dem Könige den Rest zu geben, und die zweyte Pistole, um sich selbst niederzuschiessen, sobald er den König hätte fallen sehen. Allein er habe den Kopfverlohren, und sich darüber geärgert, dass ihm sein Streich nicht besser gelungen sey.
Er hat hartnäckig geleugnet, Mitschuldige zu haben, sondern betheuert, dass er der einzige Schuldige wäre, Seines Lebens satt, habe er solches durch eine glorreiche Handlung endigen, und seinem Vaterlande dienen wollen, um es von einem Fürsten zu befreyen, der die Geisel desselben wäre.
Schreiben aus Stockholm vom 13. Juli, publ. am 30. Juli 1792
Das hiesige Opernhaus, wo die unglückliche Masquerade vom 16. März war, soll auf die Art wieder eingeweyhet werden, daß erst, dem hochseligen Könige zu Ehren, Trauermusiken daselbst aufgeführt, nachher Trauerspiele, als Dramas, und schließlich um ein Jahr erst Opern gegeben werden sollen. Der deutsche Publizist Ernst Moritz Arndt sah Gustav III. als
DER KÖNIG DES GEISTES
Der lebhafte Einsatz von Gustav III. für die Künste sicherte ihm bleibenden Nachruhm In Schweden, gilt die Gustavianisiche Epoche im ausgehen.den. 18. Jahrhun.dert als kulturelle Blütezeit, die mit ihren Bauten für Theater und Oper sowie der Gründung der Schwedischen Akademie bis heute wirkt.
„König des Geistes" und schrieb 1810 Folgendes: .. Doch war dies ein König, wie es schien, ordentlich vom Himmel hernieder gesandt; um ihnen das Leben froh zu machen. Er war leicht, liebenswürdig, freundlich, witzig, beredt, liebte Vergnügungen und Feste, ehrte Wissenschaften und Künste, die er verstand; er war ein herrlicher Gesellschafter und Spieler und wusste alle Verdienste hervorzuheben, alle Schwächen zu schonen und allen Eitelkeiten zu schmeicheln. Aber was das Volk an sich und an andern liebt und entschuldigt, das hasste und verdammte es an ihm.
Außerdem regierte dieser König thätig und mild. Er hatte die Finanzen wiederhergestellt, eine Flotte geschaffen, den Handel und Ackerbau und alles Nützliche und Schöne befördert; und wenn er ja hie und da Kleines verschwendete, so war es für Künste, Spiele und Freuden, woran er das ganze Volk Theil nehmen ließ und worauf er auch die schwedische Ehre gründen wollte. Alles wenigstens, was schön, liebenswürdig, geistreich, durch irgend ein Verdienst, ein Talent, eine Kunst hervorragend war, versammelte er um sich und zog es in den genialischen Sonnenkreis seiner Majestät: er machte es königlich, er machte es zu seines Gleichen."
Informationen
Inszenierung: Dominique Caron
Musikalische Leitung: Hilary Griffiths
Chorleitung: Romely Pfund
Choreographie: Olaf Reinecke
Bühnenbild: Jörg Brombacher
Bühnenmaler: Alp Arslan Tokat
Kostüm: Martina Feldmann
Licht: Rolf Essers
Maske: Marlene Girolla-Krause
Regieassistenz: Olaf Reinecke
Inspizienz: Corina von Wedel-Gerlach
Korrepetition: Francesco de Santis
Ton: Christian Klingenberg
Produktionsleitung: Anna-Luise Hoffmann
Dramaturgie: Matthias Gerschwitz
Künstlerisches Team
Fotos
Hinweis: Die historischen Texte und Abbildungen dieser Rückschau (bis in die 1950er Jahre) stammen aus den jeweiligen Programmheften und Fotosammlungen und spiegeln ihre Zeit. Sie könnten Begriffe und Darstellungen enthalten, die heute als diskriminierend oder unangemessen gelten. Die Eutiner Festspiele distanzieren sich daher ausdrücklich von solchen Inhalten. Auch die Erwähnung teils umstrittener Persönlichkeiten erfolgt ausschließlich im historischen Zusammenhang. Der digitale Rückblick soll Geschichte transparent machen und zur kritischen Auseinandersetzung mit Sprache, Haltung und Zeitgeschehen anregen. Wo erforderlich, ergänzen wir erläuternde Hinweise. Hinweise auf sachliche Fehler oder notwendige Kontexte nehmen wir gerne unter info@eutiner-festspiele.de entgegen.