
Die Handlung
Einstmals hatte sich August der Starke, der, wie bekannt und erlogen, Hufeisen mit der Hand auseinanderzubrechen vermochte, mit Polen vereinigt, worüber die Polen alles andere als glücklich waren. Durch diesen Bund kam ein gewisser Oberst Ollendorf, der möglicherweise wirklich gelebt hat, zu dem gut bezahlten Posten des Stadtkommandanten von Krakau. Dieses gewichtigen Amtes waltet nun Ollendorf weniger nach Recht und Gesetz als nach Lust und Laune; die große Entfernung vom königlichen Hof in Dresden gibt ihm die nötige Sicherheit dazu.
Eines Tages geschieht etwas „Furchtbares“! Ollendorf, der Damenwelt gegenüber als galanter Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle bekannt, hatte auf einem Ball die schöne Komtess Laura „nur auf die Schulter geküsst“, Laura aber versetzte ihm dafür mit ihrem Fächer einen Schlag ins Gesicht. Ist es darum ein Wunder, dass Ollendorf über eine solche öffentliche Blamage außer sich gerät und vor Wut schäumt? Ihn, den gefeierten Helden zahlloser Schlachten, „mocht ein Weib zu schlagen wagen“. Das schreit nach Rache: Laura soll erfahren, wie fürchterlich ein Ollendorf sich rächen kann!
Das erfährt nun die Komtess schon recht bald. -Zunächst aber macht sie Ollendorf mit dem steinreichen Fürsten Wybicki bekannt, der sogar um ihre Hand wirbt. Laura, mitsamt ihrer Mutter und ihrer Schwester Bronislawa, die für den „Sekretär“ des Herzogs Feuer fängt, geraten über so viel unverhofftes Glück „ganz aus dem Häuschen“, zumal sie bis auf das Besitztum eines antiquierten Kammerdieners und eines gemeinsamen Taschentuchs völlig verarmt sind. Aber alles ist nur Schwindel: der „Fürst“ ist gar kein Fürst, ebenso ist auch der „Sekretär“ kein Sekretär, sondern Jan Janicki, der Arrestkollege des Bettelstudenten Symon Rymanowicz. Ollendorf hat die beiden aus der Zitadelle, in die man sie wegen belangloser politischer Delikte einsperrte, befreit und sie in entsprechender salonfähiger Aufmachung zu seinen Privatdiensten herangezogen. So spielen nun Symon und Jan um der lieben Freiheit willen und für einen Lohn von 10000 Talern den „Fürsten Wybicki“ und dessen „Sekretär“ -und Ollendorf in der Vorfreude auf das Ziel seiner Rache -hat unbändigen Spaß daran. Weniger Spaß macht es aber Symon, denn er hat sich, -wie könnte es anders sein? -in Laura verliebt und möchte ihr „reinen Wein“ einschenken. Auch Jan hat es satt, seine Bronislawa länger an der Nase herumzuführen. Ollendorf lässt sich aber seinen Triumph nicht nehmen; und auf dem Hochzeitsfest platzt schließlich die „Bombe“, „dass dieser Fürst Wybicki war nur ein kleiner Scherz!“ Ein übler Skandal macht dem Fest ein rasches Ende . . . Nicht aber unserer Geschichte; die ist noch nicht zu Ende, denn schließlich erfährt man noch, dass derjenige, der zuletzt lacht, doch immer noch am besten lacht, denn mittlerweile haben die um ihre Rechte kämpfenden Polen ihre Stellung verstärken können, so dass Ollendorfs „Thron“ bedrohlich zu wanken beginnt. Ollendorf hat nämlich erfahren, dass sich hinter Jan Janicki der polnische Patriot Graf Opalinski verbirgt. Dieser, so heißt es in geheimer Order weiter, wisse, wo sich Herzog Adam Kasimir, gegen den sich der besondere Zorn der sächsischen Besatzer richtet, befinden soll; und es geht nun darum, dessen Versteck ausfindig zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen bietet Ollendorf dem Grafen Opalinski -nennen wir ihn weiterhin Jan Janicki -eine Summe von 200000 Talern. Mittels dieser Summe hofft Jan den Kommandanten der Zitadelle bestechen zu können und die Sachsen aus Krakau zu vertreiben. Ollendorf, durch Jan irregeleitet, hält nun Symon für den Herzog und will ihn verhaften lassen. Doch schließlich siegen nicht nur die Polen über Sachsen, sondern es siegt auch die Liebe über die Politik. Symon erhält die Hand Lauras und tritt -zum Entzücken der alten Gräfin -in den Adelsstand. Bronislawa wird Gräfin Opalinski und erhält überdies genug Geld, sich rundherum satt zu essen. Und Ollendorf? Er und seine Offiziere werden nun wohl für einige Zeit hinter Schloss und Riegel verschwinden. Ja, so geht es nun einmal den Besiegten! Schwamm drüber!
Was waren damals Bettelstudenten?
„Die Leute nennen mich Bettelstudent, weil ich studiere, ohne zu bezahlen“, erklärt Symon Rymanowicz. Er hatte sich beim „Pedell“ der Universität als solcher ausgewiesen, und er kam so in den Genuss zahlreicher Privilegien. So z.B. bekamen Bettelstudenten bestimmte Kosttage in den Klöstern oder bei wohlhabenden Bürgern zugeteilt, oft auch eine Schlafstelle umsonst. Wer zu spät zum Essen kam und seinen Platz bei Tisch bereits besetzt fand, erhielt auf jeden Fall noch eine Bettelsuppe und hatte den Vortritt vor den anderen, den echten Bettlern. Zu den weiteren Privilegien der Bettelstudenten gehörte auch das Recht, in den Haushöfen geistliche Lieder zu singen und als „Evangelimänner“ am Samstag wie an Sonn-und Feiertagen das Evangelium vorzulesen, wofür sie die ihnen zugeworfenen Bettelpfennige aufheben durften, ohne ihre studentische Ehre zu verletzen. Logis und Brot bezahlten sie durch Lektionen, Nachhilfeunterricht. Weitere Mildtätigkeit der Bürger versorgte sie günstigenfalls mit einem Frühstück, mit Brennholz oder auch an Wintertagen für Stunden in einem warmen Zimmer. Die gestundeten Kolleggelder hatte jeder Bettelstudent, sobald er zu Geld kam, nachzuzahlen.
Carl Millöcker
Aus „Die Wiener Vorstadtbühnen, Alexander Girardi und das Theater an der Wien“ Wien, 1951
Der bürgerlichste der drei Meister der klassischen Operette stammt aus einem Handwerkerhaus Mariahilfs. Arbeitsfleiß, Biedersinn und Bodenstolz der Edelvorstadt von Wien haften auch dem Werk Carl Millöckers an, waren auch Züge des Privatmannes Millöcker. Er hatte nicht wie der junge Strauß vom berühmten Vater die Kronprinzen-Sendung mitbekommen, nicht wie Franz von Suppe durch Donizettis Gönnerschaft sichere Beziehungen zur Musik. Am 29. April 1842 wurde dem Goldschmiedemeister Millöcker der Sohn Carl geboren; nach der Schulzeit ging er beim Vater in die Lehre, doch zeigte sich bald, dass der Bub mehr Neigung zum unnützen Flötenrohr als zu dem des werkzeuglichen Lötrohres hatte; auch an Geduld und Sorgsamkeit, die zum Goldschmiedgewerbe gehören, fehlte es ganz und gar. Millöcker hat seine Jugenderinnerungen erzählt: „Ich könnte“, berichtete er humoristisch, „heute über ein wohlassortiertes Lager selbstverfertigter Eheringe, pietätvoller Firmungskreuze verfügen, hätte mir nicht mein Jähzorn diese schöne Karriere ein-für allemal verdorben. Ich saß in meines Vaters Werkstatt, und wenn mir so eine güldene Kette nicht gleich parieren wollte, so machte ich kurzen Prozess und warf sie auf die Straße hinaus. Diese Methode der Bearbeitung von Edelmetall war in der edlen Wiener Goldschmiedzunft bisher noch nirgends angewendet worden. Und mein Vater, der begründete Zweifel hatte, dass durch meine Methode sein Geschäft in Flor kommen würde, erwies sich und der Goldschmiedkunst einen unschätzbaren Dienst und machte mich -zum Musiker, was stets mein Herzenswunsch gewesen. Ich lernte Flötenblasen, denn die Flöte ist ein ehrsames Instrument, an dem sich selbst der würdige Bürger an linden Sommerabenden erbauen mag. Aber mit der Flöte ist man bald fertig; sie hat im Ganzen nur zwölf Löcher, und da kennt man sich rasch aus. So schaffte mir denn mein Vater ein Klavier an. Das Kapital, das er hierfür aufwendete, betrug bare fünfzehn Gulden. Man kann sich denken, was für eine Art Klavier das war. Es hielt nur mit Mühe seinen alten, wurmstichigen Leib aufrecht und schien nur eine Sehnsucht zu haben, dass nämlich Gott ihm zu seinen drei Beinen noch ein viertes schenken möge. Jede einzelne Taste musste man besonders überzeugen, dass sie verpflichtet sei, einen Ton anzuschlagen, und ließ sie sich zu dieser Freundlichkeit bereitfinden, so war dieser Ton um einige Terzen zu hoch, die Fälle ausgenommen, wo er um einige Terzen zu tief war. Trat man aber das Pedal, so brach ein Ächzen und Kreische„Nun“, sagte mein Vater, „wenn andere darauf gelernt haben, wirst du wohl auch darauf lernen.“ -“Nun“, sagte ich, „mir wäre es lieber gewesen, es hätte niemand anderer darauf gelernt“...“
Im Jahre 1856 entschloss sich der Vater, Carl am Wiener Konservatorium gründliche Ausbildung zuteil werden zu lassen. Von seinem sechzehnten Jahre an spielte Millöcker im Orchester des Josefstädter Theaters als Flötist. Kapellmeister war der junge Franz von Suppe, der, auf Millöcker aufmerksam geworden, ihn förderte und ihm im Jahre 1864 die Kapell-meisterstelle des Landestheaters in Graz verschaffte, in seinem neidlosen südländischen Temperamente auch Millöckers Kompositionen begönnerte. 1869, im gleichen Jahr als der junge Girardi bei Direktor Böhm ins erste Engagement kam, wurde Millöcker an das „Theater an der Wien“ berufen Die Kapellmeisterei an einem Wiener Vorstadttheater war zu jener Zeit kein leichtes Stück Arbeit, war ein wahres Handwerk, das auch nur für trockenes Brot langte. Der Kapellmeister hatte laufend für die notwendige Illustrationsmusik der auftauchenden Possen, Parodien, „Lebensbilder“ und Volksstücke zu sorgen; mehr als siebzig derartige Produkte stattete Millöcker mit Musik aus. Vielleicht zeitigten gerade diese Zweckkompositionen Millöckers hervorragenden Sinn für wirkungssichere Verbundenheit mit der Bühne, was ein Nachruf für Millöcker wie folgt festhielt: „An Kenntnis des Bühnenwirksamen, des Szenisch-Schlagkräftigen sind beide (Suppe und Millöcker) Johann Strauß überlegen, der ja auch vom Ballsaal her zur Bühne dringt. Was dieser oft auf dem Umweg eines glänzenden Melodieneinfalles erringen muss, treffen sie mit ein paar Takten, mit einem schnellen Bühnenwitz, wie ein geschickter Regisseur eine Szene durch einige Nuancen zu beleben weiß. Strauß musste in der Operette leichtsinnig die Gaben eines Genies vergeuden, während Suppe und Millöcker als kluge, erfahrene Verwalter eines großen Talentes erscheinen. In der Geschicklichkeit und im Erfassen der Bühnensituation hat sich Millöcker den Titel eines „Meisters des Couplets“ erworben. Sein ,Schwamm drüber' im ,Bettelstudent' stellt eines der prächtigsten Beispiele aus dem Genre dar, das in seiner wirkungsvollen Deklamation und Orchestration nicht so bald erreicht werden kann.“ Carl Millöcker schuf mit peinlich gewahrter künstlerischer Gewissenhaftigkeit. Sein Streben und Sehnen ging nach der dem Volksverständnisse und Volksgeschmacke nahen Opern, der deutschen „Volksoper“; niemand kam Flotow, Lortzing und Nikolai zu jener Zeit so nahe wie Millöcker, nicht Johann Strauß, dem dazu Naivität und Bürgerlichkeit fehlten.
In Polen, am Balkan, in Italien, in Schwaben, in Paris und New York spielen Millöckers Operetten; ohne sich in nationale Kopien einzulassen, machte der Meister trotzdem vor jedem Werke genaue musikalische Studien, mehr zur inneren Abstimmung, Vertiefung in das Gesamtkolorit. Was Millöcker an Technik brauchte, saß ihm im kleinen Finger und Theaterblut. Millöcker war auch darin ein echter Theatermann, dass er ein Libretto zu beurteilen verstand und diesbezüglich un-beeinflussbar war. Vierzehn Jahre lang stand Millöcker unermüdlich vor dem Dirigentenpult; als Kapellmeister am Aufschwung des Theaters an der Wien wichtigst beteiligt. Warme Freundschaft aus ihrer Künstlerarbeit verband Millöcker mit dem ersten Darsteller des Hauses. Girardi äußerte sich einmal über Millöcker: „Als Kapellmeister war Millöcker ein kolossaler Kerl und als Begleiter einfach unvergleichlich; er hat jede Nuance, jeden Ton gekannt, den ich gesungen habe; so habe ich ihn einmal aufgezogen und gesagt: ,Du hängst doch als Kapellmeister nur von mir ab. Ich kann Dich schmeißen.' Millöcker hat widersprochen, ich habe mir vorgenommen, es ihm zu zeigen. Bei nächster Gelegenheit habe ich bei einem Couplet an einer Stelle eine Pause gemacht, habe ein Gesicht geschnitten und die Hand in die Höhe gehoben. Millöcker, darauf nicht gefasst, ist natürlich mit der Musik weitergegangen, aber dann hat's ihn z'ruckg'riss'n und ich habe schadenfroh hinuntergeblinzelt: ,Du Mistvieh', hat er mir in seiner Wut heraufgeschrien.“ Millöckers erstes Originalwerk, 1 873 im „Theater an der Wien“ aufgeführt, war die Operette „Abenteuer in Wien“, 1896 erschien -ohne Girardi!- Millöckers letztes Werk „Das Nordlicht“. In diesem reichen, fleißigen Oeuvre befanden sich Welterfolge: „Gräfin Dubarry“, „Der arme Jonathan“, vor allem aber „Der Bettelstudent“ und „Gasparone“.
„Millöcker, Sie haben die Melodie!“, begrüßte Hans von Bülow den Komponisten, als er ihm nach dem Hören von „Gasparone“ begegnete. Wahrlich, er hatte sie. Erst 58 Jahre alt, ist Carl Millöcker, der warmherzigste der drei Klassiker der Wiener Operette, am 31. Dezember 1899 gestorben. Mit seinem Tod ist ein großer Abschnitt der Geschichte der Wiener Volksmusik endgültig vollendet worden. Wien widmete ihm auf dem Zentralfriedhof ein Ehrengrab, das ein prachtvolles Denkmal aus Josef Kassins Hand ziert. Steht man davor, sagt man unwillkürlich: „Tod, wo ist dein Schrecken?“ Es ist wahrscheinlich das lustigste Grabmal des unermesslichen Totenreiches! Aus weißem Carraramarmor zeigt es ein Relief Millöckers, gehalten von übermütigen Putten, den Sockel füllt ein Relief aus, darstellend das zweite Aktfinale aus dem „Bettelstudent“ mit der porträtgetreuen Wiedergabe Girardis und der anderen Darsteller der Uraufführung. Es liegt darin zu Stein gewordene Millöckersche Melodie.
Informationen
Operette in drei Akten
Komponist: Carl Millöcker
Librettist: Camillo Walzel unter dem Pseudonym „F. Zell“ und Richard Genée
Literarische Vorlage: Les Noces de Fernande (Fernandos Hochzeit) von Victorien Sardou
Uraufführung: 6. Dezember 1882
Ort: Wien
Spielstätte: Theater an der Wien
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