Madama Butterfly: Hohe Qualität, gekonnt und lustvoll zelebriert
Nach dem leichtgängigen Musical „Ein Käfig voller Narren“ wird auch die Pucchini-Oper auf der Eutiner Freilichtbühne ein Genuss und vom Publikum gefeiert.
Denn dass dort mit Liebe und natürlich Sachverstand gearbeitet wird, war am Premierenwochenende den gesungenen und gespielten Noten, war auf der Bühne jedem Bambusstab im Zen-Garten, war den Kostümen und der klugen Beleuchtung zu entnehmen – wenn es einem denn gelang, sich aus dem Bann der Oper aller Opern zu lösen und einen nüchternen Blick auf die Inszenierung Igor Folwills zu werfen. Die geht Hand in Hand mit der Musikalischen Leitung von Hilary Griffiths, der die gut aufgelegten Musikerinnen und Musiker der Kammerphilharmonie Lübeck (KaPhiL!) mit spürbarer Freude durch den rund dreistündigen Abend führt.
Es braucht keinen Schnickschnack, um Atmosphäre zu schaffen. Wir sind im japanischen Nagasaki. Ein Zen-Garten, ein angedeuteter Shintō-Schrein, stilisierte Bambusstäbe nehmen das Publikum mit in eine Welt, die zur Zeit der „Butterfly“-Entstehung zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem Westen fremd war und selten ebenbürtig erschien.
Die Bühne von Jörg Brombacher zeichnet dieses konfliktgeladene Klima schnörkellos nach, die an traditionelle Vorlagen orientierten Kostüme von Martina Feldmann setzen weitere schön anzuschauende Marker. Dass hier die westliche Welt ohne Rücksicht in japanische Traditionen eindringt, unterstreichen das Sternenbanner, das einem Sessel den Ritterschlag zum Thron verleiht, und ein ordentlicher Bourbon-Vorrat.
Dass die Liebe der kindlichen, „Butterfly“ genannten Geisha Cio-Cio-San zum Lebemann Oberst Pinkerton tödlich endet, signalisiert das Schwert, das die junge Frau aufbewahrt. Es ist die Waffe, mit der schon ihr Vater seinem Leben ein nach japanischen Maßgaben ehrenvolles Ende gesetzt hat.
Es braucht auch keine Unter- oder Übertitel. Gesungen wird in italienischer Sprache. Denjenigen, die die sich per Musik und Spiel nahezu selbsterklärende Geschichte nicht kennen, sei das Programmheft empfohlen, das für einen Preis von vier Euro ebenso reichliche wie lesenswerte Informationen, Hintergründe und ein Interview mit dem Regisseur parat hat.
Prinzipiell darf man unterstellen, dass Cio-Cio-Sans Geschichte sattsam bekannt, weil „Madama Butterfly“ eine der meistgespielten Opern überhaupt ist. Und doch berührt die grandiose Verschränkung der Komposition mit dem Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica, das auf John Luther Longs Erzählung „Madame Butterfly“ (1898) und David Belascos Tragödie „Madame Butterfly. A Tragedy of Japan“ (1900) beruht, immer wieder neu.
Auch im Zuschauer-Halbrund vor der Seebühne, wo die Temperaturen am Premierenwochenende beileibe nicht mithalfen, die Stimmung anzuheizen, glitzerte es hier und da in den Augenwinkeln, zeugten die Blicke der Zuschauer davon, wie tief sie hineingezogen waren in die Konfrontation von Kulturen und Geschlechtern.
Es braucht auch keine Noten, jedenfalls nicht für Hilary Griffiths, der das Geschehen zwischen Bühne und mit Plane abgedecktem Orchestergraben hervorragend managt. Er kennt die Oper, hat sie dutzendfach dirigiert, spricht und singt mit, seine Lippenbewegungen beweisen das.
Er kennt vor allen das Personal und die speziellen Bedingungen der Bühne. Jede Stimme, auch die feinsten Töne etwa des Summchores, die verhallenden Rufe aus den Baumbeständen rechts, links und hinter der Bühne, hörbar sind.
Größten Anteil am Faszinosum Eutin hat – wie schon im vergangenen Sommer, dessen „La Bohème“ ebenfalls in den Händen des Duos Duo Griffiths und Folwill lag – die Wahl des singenden Personals. Dessen stimmliche und auch darstellerische Qualitäten sind in hohem Maße überzeugend.
Timothy Richards legt den rücksichts- und gedankenlosen Lebemann Pinkerton so dicht in Stimme und Gestik, dass man sich kneifen muss, um ihm am Ende den wohlverdienten Applaus zu spenden. Bariton Gerard Quinn, seit mehr als 20 Jahren regelmäßig gefeiertes Ensemblemitglied am Theater Lübeck, bringt als der das Böse ahnende Oberst Sharpless seine große Erfahrung ins Spiel.
Ebenfalls aus Lübeck kennt man Wioletta Hebrowska (sie wechselt nun nach 14 Jahren von der Trave nach Münster), die in der Folge abwechselnd mit Viola Zimmermann der Dienerin Suzuki ihren Mezzosopran leiht und wunderbar mit dem Sopran Cio-Cio-Sans harmoniert. Tetiana Miyus (bei der Premiere sowie am 29. Juli, 8., 11., 14., und 18. August) und Yitian Luan (am Samstag, sowie am 6. und 19. August) strahlen in diesem Part.
Dass sie die Titelrolle auskleiden, ist wörtlich zu nehmen: Beide Sängerinnen verstehen es, eine jugendliche, fast noch kindlich geprägte Leidenschaft der Cio-Cio-San zu transportieren. Großes Drama gehört in diese Lebensphase, Naivität gepaart mit Berechnung, Hoffnung und Verzweiflung. Schnell kann dabei der Schuss nach hinten losgehen. In Eutin trifft er ins Schwarze. Am Ende steht das Publikum und jubelt. Wie gesagt: Sie können es einfach auf dem grünen, norddeutschen Hügel.