Intimes Konzert mit Zwischentönen: Jan Josef Liefers und Radio Doria begeistert von Eutin
EUTIN | Es gibt nicht nur schwarz und weiß auf dieser Welt, sondern dazwischen viel grau. Das Bühnenoutfit von Jan Josef Liefers passt dazu. Wer den 57-Jährigen als Professor Karl-Friedrich Boerne aus dem Münster-Tatort kennt, dürfte überrascht gewesen sein, ob seiner legeren Kleidung mit Hemd, Jeans und Sneacker – nicht aber ob seiner Wortgewandtheit, mit der er es vermochte, Zwischentöne zu Themen zu setzen, die nicht nur das Eutiner Publikum bewegen.
Jan Josef Liefers und Bandmitglieder haben Bühne und Publikum gefehlt
Corona, Versagens-Ängste als Eltern, Flüchtlingskrise, Verlust und Liebe – das Programm, mit dem Liefers und seine Band Radio Doria gerade auf Tour sind und in Eutin gleich zwei Konzerte gaben, besticht durch musikalische Intimität. „Wer hätte gedacht, dass wir hier heute stehen können? Endlich ist das wieder möglich. Danke, dass ihr den Schritt mit uns geht“, begrüßte Liefers die Eutiner Gäste. Als er fragt, wer ihn schon mal auf der Bühne gesehen hat, meldeten sich nur wenige – „dann seid ihr ja fast alle Erstkontakte“. Schmunzeln.
Zwischen den Stücken verrät Liefers etwas über sich, wie sehr ihm die Bühne gefehlt habe, dass Freunde nach Corona nicht die gleichen seien, wie vor Corona. „Ist doch eigentlich verrückt. Man sollte doch aushalten können, dass Menschen unterschiedlicher Meinung sind“, sagt Liefers. Viel habe sich verändert, binnen der vergangenen eineinhalb Jahre. Corona nimmt der Künstler dabei fast gar nicht in den Mund. Da Wort schmecke bitter, sagte er jüngst in einem Interview. Im Frühjahr bekam er mit zahlreichen anderen Schauspielern zu spüren, wie bitter eine nachträglich als Kunstaktion deklarierte Kritik schmecken kann. Doch auch #Allesdichtmachen war kein Thema in Eutin. Der ein oder andere Sitz mag deshalb freigeblieben sein.
„Richtige Freundschaft, also Liebe ohne Sex, ist sehr wertvoll und das merkt man oft erst, wenn es vorbei ist“, sagt Liefers. Einer seiner besten Freunde und Schauspielkollege aus Eutin ist Axel Prahl, „der war ja schon bei euch. Wir zwei zusammen, das wär's gewesen, hat aber leider nicht geklappt, ihn jetzt hier aus dem Hut zu zaubern“, sagt Liefers. Das Publikum wird wärmer.
Als Liefers die Besucher zum Mitsingen animiert und zwischendrin, fast wie Boerne, Wissen umsonst verteilt, ist das Eis gebrochen. Er berichtet von den Ergebnissen der zur dämlichsten Studie gekürte Untersuchung zur Wahrscheinlichkeitsberechnung: „Ist es wahrscheinlicher, dass eine liegende Kuh binnen der nächsten zehn Minuten aufsteht oder dass eine stehende Kuh sich hinlegt? zitiert er die These. Das Ergebnis war wenig überraschend, sorgte aber für Gelächter: Die liegende Kuh steht vermutlich eher auf, als dass sich die Stehende in Kürze niederlegt.
Jan Josef Liefers: „Angst ist ein schlechter Ratgeber“
Im neuen Stück über die Angst verrät er, dass er 2015 mit der Flüchtlingskrise ganz ähnlich empfunden habe wie binnen der vergangenen eineinhalb Jahre: Ein Riss gehe durch die Gesellschaft. „Angst ist scheiße, Angst ist ein schlechter Ratgeber“, sagt er und rät zum Abschied: „Lasst euch nicht meschugge machen. Ihr seid alle schlau genug, um nachzudenken. Lasst uns zusammenbleiben und Kontakthalten, auch wenn der Herbst vielleicht nochmal ungemütlich wird. Aber das schaffen wir.“
Seine große Angst, es in der Stadt seines Freundes Axel Prahl zu versemmeln, bleibt unbegründet: Bei den letzten Liedern steht das Publikum, tanzt, schunkelt und applaudiert bis Liefers mit seiner Band zur Zugabe wieder auf die Bühne kommt. Die Freude im Gesicht über diese 90 Minuten wirkt auf beiden Seiten echt.
Kultur hat einen anderen Stellenwert als Puff und Spaßbad
„Ich hätte mir gewünscht, dass Kunst und Kultur nicht zwischen Puff und Spaßbad eingeordnet worden wären. Denn wenn einem etwas den Boden unter den Füßen wegzieht, egal warum, dann kann die Kunst und Kultur sehr hilfreich sein, ihn wieder zu finden“, antwortet Jan Josef Liefers direkt nach dem Konzert, angesprochen auf seine Corona-Kritik. Nur Lob hatte er dagegen für das Publikum und die Eutiner Festspiele übrig: „Ich hätte nicht gedacht, dass Menschen schon am Nachmittag so mitgehen, das war wirklich toll. Überhaupt ist die Anlage des Festivals wirklich großartig.“