Zwei Weltenbummer bei den Festspielen
Kathrin und Stéphane Widmer haben diesen Sommer bei den Eutiner Festspielen wertvolle Arbeit geleistet
Sie haben gemacht, wozu vielen der Mut fehlt, obwohl sie die Idee der großen Freiheit reizt: Kathrin und Stéphane Widmer haben nach Jahrzehnten am Opernhaus in Zürich ihre sicheren Jobs gekündigt, sich einen Lkw der besonderen Art gekauft, sind eingestiegen und ins Abenteuer gestartet. Ihr Abenteuer.
Ganz so Hals über Kopf, wie sich das anhören mag, war es nicht. Dem ging viel Planung voraus, Sparen und Mut. „Wir reisen einfach sehr gern und waren zuvor auch schon für fünf Monate in Südamerika oder 18 Monate auf der Panamericana unterwegs. Da haben wir Blut geleckt“, sagt Kathrin Widmer.
Mehr als 21 Jahre am Opernhaus Zürich gearbeitet
Die gebürtige Kielerin hat als Requisiteurin und lange als stellvertretende Leiterin der Requisite am Opernhaus in Zürich mehr als 21 Jahre lang gearbeitet, dort vor 13 Jahren ihren heutigen Mann Stéphane kennengelernt. Als gelernter Metallbauer war er in der Metallbauwerkstatt des Opernhauses und dort für den Bühnenbau verantwortlich.
„Aber wenn man alles bis zu Ende denkt, dann bleibt man zu Hause und wagt es nicht“, fügt sie hinzu. „Wir haben keine Kinder und keinerlei andere Verpflichtungen, deshalb haben wir uns 2018 den Lkw gekauft.“
„Odorico“ haben beide ihr Expeditionsfahrzeug genannt, das mal ursprünglich fürs Österreichische Heer produziert wurde. „So hieß der erste Weltreisende aus Österreich im 12. Jahrhundert, der bis nach China pilgerte und wieder zurück. Jeder, der sich für ein Leben mit oder in einem solchen Fahrzeug entscheidet, gibt dem einen Namen. Wir fanden das sehr passend“, sagt Kathrin Widmer.
Wohnen auf zwölf Quadratmetern
„Unkaputtbar ist Odorico“, sagt Stéphane Widmer. Er liebe es, offroad zu fahren. 400 Kilometer durch die Wüste Marokkos habe „Odorico“ sie schon gebracht. Auf gut zwölf Quadratmetern und in einem 11,5 Tonnen schweren Fahrzeug haben die beiden alles an Bord, was sie zum Leben brauchen.
„Wir leben sehr sparsam und trotzdem sehr gut. Alles, was wir brauchen, haben wir auf ein Minimum begrenzt und unsere größte Ausgabe ist eigentlich der Diesel, wenn wir fahren“, sagt Kathrin Widmer. Mit Solar auf dem Dach und einer Aufladefunktion des Stromaggregats während der Fahrt sei auch Elektrik kein Problem. Der Wassertank sei so groß, dass er je nach Verbrauch zwei bis drei Wochen „locker“ reiche.
Nach eigenen Wünschen gefertigt
Die gut zwölf Quadratmeter große Kabine, die Odorico auf seinem Rücken trägt, haben sich beide nach ihren Wünschen fertigen lassen. Durch Corona habe alles etwas länger gedauert. 2018 haben sie Odorico gekauft, 2023 haben sie aufgehört zu arbeiten und sind mittlerweile das erste Jahr unterwegs. „Im Winter suchen wir die Sonne, die Zeiten von arktischer Kälte und Gletscherwanderungen sind vorbei. Wir lieben es warm“, sagt der 51-Jährige.
Nach Marokko und Skandinavien kam im Mai der Zwischenstopp bei den Eutiner Festspielen. „Wir haben gesehen, dass hier die Requisite gesucht wurde und glücklicherweise konnte auch mein Mann als Bühnenbauer anfangen“, sagt Kathrin Dittmer.
Erste Erfahrungen auf der Bühne
Zum ersten Mal nach mehr als 30 Jahren Opernhaus stand Stéphane auch vor Publikum auf der Bühne, wenn beispielsweise bei der Oper „Freischütz“ Teile der Kulissen gedreht wurden. Er war einer von den Männern in schwarz.
„Ich dachte erst, auf der Bühne stehen stresst mich mehr, aber es ging. Sie sind alle unglaublich nett hier und das Gefühl, mal wieder gebraucht zu werden, das macht etwas mit einem“, sagt der 51-Jährige.
All die Jahre in Festanstellung habe er nicht gedacht, dass er das mal fühlen und sagen würde. Aber die Zeit auf Reisen habe ihm dies gezeigt.
Herausforderung der Freiluft-Vorstellungen
Nicht nur der Ort sei „unglaublich schön mit dieser Naturkulisse“, sondern beide haben auch einiges dazugelernt. „Open-Air zu spielen ist noch einmal etwas ganz anderes mit Blick auf Requisiten und Bühnenbau“, sagen beide unisono. Im Theater sei es egal gewesen, ob ein offenes Rohr unter der Kulisse ende. „Hier darf das nicht sein, sonst läuft irgendwann das Rostwasser auf die Bühne“, weiß der Züricher jetzt. „Wenn es bei Proben oder Vorstellungen regnet, wird vieles schneller dreckig und bedarf einer ganz anderen Aufmerksamkeit. All das spielt indoor gar keine Rolle. Das ist schon spannend“, so die Requisiteurin.
Kathrin Dittmer ist aber nicht nur fürs Gewehr über der Schulter oder die Spinnweben an den Geweihen verantwortlich: Jedes Mal, wenn Pyrotechnik gefragt ist, ist sie sprichwörtlich am Drücker. „Dafür habe ich eine Zusatzausbildung gemacht, deshalb kann und darf ich das.“
Nächsten Sommer wieder Eutin?
Bis zur letzten Vorstellung am Sonntag, 18. August, waren die beiden bei den Festspielen. Und sie wären auch im nächsten Sommer gern gesehen. Ob das mit den Reiseplänen kompatibel ist? „Am Ende weiß man nie, aber eigentlich wollten wir im September durch die Türkei und den Iran reisen, um von dort mit der Fähre nach Dubai überzusetzen und die arabische Halbinsel zu entdecken“, sagt Kathrin Dittmer. „Wüste hat es uns irgendwie angetan“, fügt ihr Mann hinzu.
Wegen der jüngsten Entwicklung im Nahen Osten haben Sie allerdings diese Reisepläne storniert, möglicherweise geht wieder nach Südamerika.
„Wie lange wir wo bleiben, entscheiden wir wirklich relativ spontan, je nachdem, wie es uns vor Ort gefällt. Wir haben ja alle Freiheiten und wir lieben es frei zu sein.“ Streit darüber, wohin es als Nächstes geht, haben beide übrigens nicht. „Das ist bei uns ganz einfach. Ich fahre“, sagt Stéphane Widmer. „Und ich plane und sag, wohin“, ergänzt Kathrin Widmer. Beide lachen.
Ihre Abenteuergeschichte dokumentieren sie auf Instagram auf ihrem Profil (Link „ausfahrt4x4“). Dort teilten sie auch Eindrücke von ihrer Arbeit in Eutin.