Literatur intensiv: "Eine Frau" von Annie Ernaux
Lesung von Franziska Mencz, Musik von Michael Rettig (Klavier) und Clovis Michon (Cello)
In Zusammenarbeit der Eutiner Festspiele mit dem Kulturbund Eutin stand Freitag, 30. Juni 2023, ein Werk der französischen Schriftstellerin Annie Ernaux im Mittelpunkt, die 2022 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Die Schauspielerin Franziska Mencz las aus dem Buch „Eine Frau“. Die Textpassagen fanden einen eindringlichen Dialog durch Musik, die Michael Rettig komponiert hatte und die er am Flügel in Begleitung des Cellisten Clovis Michon vortrug.
Annie Ernaux setzte 1986 ihrer Mutter ein literarisches Denkmal mit einem Nachruf, den sie 13 Tage nach deren Tod schrieb. Unter dem schlichten Titel „Eine Frau“ beschreibt die Schriftstellerin, die als „eine der prägendsten Stimmen der französischen Gegenwartsliteratur“ gilt, das Leben einer Französin, die 1906 in der Normandie geboren wurde und zeitlebens ums finanzielle Überleben rang. Die Arbeiterin und zweifache Mutter wurde Besitzerin eines Krämerladens mit kleinem Café und kämpfte um den Erhalt ihres sozialen Status‘.
Ihre Tochter schafft den Aufstieg aus dem Arbeitermillieu. Sie studiert, promoviert und wird Lehrerin an einem Gymnasium. Die später berühmte Schriftstellerin geht ihre eigenen Wege, die Beziehung zwischen Mutter und Tochter schwankt zwischen Phasen der Distanz und der Annäherung. Dem Tod ihrer Mutter geht durch Alzheimer der schmerzliche Prozess des Abschieds auf Raten voraus. Trotzdem löst die Endgültigkeit des Todes bei der Tochter kaum erträgliche Trauer aus.
Franziska Mencz las das Requiem der Autorin mit großer Eindringlichkeit, vermittelte Emotionen, von denen die Mutter-Tochter-Beziehung über Jahrzehnte hinweg begleitet wurden. Darunter waren so unterschiedliche Empfindungen wie Zärtlichkeit, Abscheu und Schuldgefühl der Autorin bei der Erinnerung an ihre Mutter.
Die Emotionen spiegelten sich in den Klängen, die Michael Rettig am Flügel und Clovis Michon mit dem Cello erzeugten: Viele lyrische Passagen, aber auch Leidenschaft und eruptive Momente, vor allem aber sphärische Sequenzen mit einem Cello, dessen Töne unmittelbar das Herz des Zuhörers trafen.