Ein Käfig voller Narren zeigt sich als gelungene Mutprobe
„Ein Käfig voller Narren“ zeigt sich bei der Premiere der Eutiner Festspiele als gelungene Mutprobe
Man kann viel falsch machen beim lockeren Umgang mit queeren Themen. Lesben, Schwule, Transmenschen der Lächerlichkeit derer preisgeben, die sich für „normal“ halten zum Beispiel. Das funktioniert mit Klamauk, für den es wenig Hirn und viel Alkohol braucht.
Dass es ganz anders geht, nämlich mit tiefgründigem Humor und blitzsauberer Bühnenkunst, zeigen die Eutiner Festspiele mit dem von Tobias Materna inszenierten Musical „Ein Käfig voller Narren“ von Jerry Herman, mit dessen Premiere jetzt die 71. Spielzeit eröffnet wurde: Ein Fest für Sinne und Verstand.
„Etwas sehr Mutiges für Eutin“
Materna und Christoph Bönecker haben die Freilichtbühne im Griff. Bereits im vergangenen Jahr zauberten der Regisseur und der Musikalische Leiter „Cabaret“ auf den grünen Hügel, entsprechend hoch waren nun die Erwartungen an die neuerliche Zusammenarbeit an einem Stück, das Festspiel-Geschäftsführer Falk Herzog als „etwas sehr Mutiges für Eutin“ bezeichnet.
Sie begrüßen die Gäste zur Premiere: Monika Heinold als stellvertretende Ministerpräsidentin und Festspiele-Chef Falk Herzog freuen sich auf gute Unterhaltung mit Tiefgang.
Schon die ersten Takte versprechen eine Kammerphilharmonie Lübeck (KaPhiL!) in schönster Spiellaune, die auch der Regenschutz nicht deckeln kann. Und dann geht es auf der Bühne schillernd Schlag auf Schlag die Showtreppe des Nachtclubs La Cage aux Folles hinauf und hinab, in Higheels, versteht sich.
Nicht lächerlich, sondern ästhetisch
Weiblich, männlich, divers? Gleich die erste Tanznummer zeigt die großartige Arbeit des Choreografen Vanni Viscusi und die Ernsthaftigkeit, mit der das Publikum zum Schmunzeln gebracht wird: Ja, im Cage aux Folles tanzen Tunten. Lächerlich ist das nicht, sondern ästhetisch. Die Bühne ist bereitet für die Geschichte, in die Conferencier Georges (Livio Cecini) einführt, und in der Uwe Kröger als sein Lebensgefährte Albin der Star ist.
Besonders in Szene gesetzt wird die Freilichtbühne bei der ersten Spätvorstellung der Festspiele.
Wir tauchen ein ins Leben von Menschen unterschiedlicher Orientierung. Bisexuelle, Heteros, Schwule, Lesben, Transen, Monogame, Tolerante. Und Intolerante. Wie die Eltern von Anne (Jasmin Eberl), dem Mädchen, das Georges‘ Sohn Jean-Michel (Julian Culemann) heiraten will. Annes Vater, ein homophober Politiker, soll eine heile Hetero-Welt vorgegaukelt werden, in der für Albin kein Platz vorgesehen ist.
Uwe Kröger balanciert geradezu traumwandlerisch sicher auf dem extrem schmalen darstellerischen Grat, der Emotionalität und Extravaganz von überkandideltem Getue trennt. Er bleibt immer auf der besseren Seite und damit packend glaubhaft. Seine größten, weil atemberaubenden Momente hat er optisch und stimmlich als Albin alias Folles-Diva „Zaza“.
Üppige Kostüme
Die Kostüme (Gisa Kuhn) sind insgesamt üppig, wie es im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts in einem närrischen Pariser Nachtclub zu erwarten ist, mit Rüschen und Pailletten, transparentem Tuch und Federn. Den Vogel schießt auch hier Kröger als „Zaza“ ab, der das Publikum im enganliegenden Glitzerkleid à la Marilyn Monroe mit der Hymne „I am what I am“ in die Pause entlässt.
Ein Kraftakt seien die letzten Tage vor der Premiere gewesen, hatte Festspiel-Geschäftsführer Falk Herzog gesagt. Von Mühe ist indessen nichts zu merken. Wem es gelingt, einen nüchternen Blick auf das Gebotene zu werfen, sieht, dass hier das Ergebnis einer Teamarbeit auf die Bretter kommt, die mit Freude vonstatten geht. Das variable Bühnenbild von Jörg Brombacher fügt sich da nahtlos ein.
Die zentrale – unverzichtbare! – Showtreppe ist schon erwähnt, sie ist zu Gunsten weiterer Räume drehbar. Eine braun-gelb-orange gemusterte Tapete erinnert an die Entstehung des Stückes, das 1978 als italienisch-französische Filmkomödie und 1983 als Musical herauskam. Eine andere Zeit. Gegen Diskriminierung und um Gleichberechtigung kämpfen queere Menschen allerdings noch heute, in etlichen Ländern der Welt müssen sie um Freiheit und sogar um Leben fürchten. Diese Hintergründe stecken hinter Eutins „Käfig voller Narren“, aber ein erhobener Zeigefinger wird nirgends sichtbar. Im Gegenteil. „Ich schreibe für ein lächelndes Publikum.“ Der Satz des Jerry Herman ist im Programmheft zitiert. Das Eutiner Team hat ihm die Ehre erwiesen.
Apropos Programmheft: Hintergründiges ist nicht zuletzt auch hier unterhaltsam gebündelt. Das braucht man zwar keineswegs, um sich im Bühnengeschehen zurechtzufinden; doch der Inhalt unterstreicht den Kern der Inszenierung: „I am what I am“.
Hier gibt es Karten
Auf dem Programm stehen bis zum 21. August noch 14 weitere Aufführungen des Musicals. Karten gibt es unter Tel. 04521/80010 an der Konzertkasse oder online unter eutiner-festspiele.de.