„Cabaret“ feiert heute Premiere
Die meisten Musicals bieten Unterhaltung ohne Tiefgang und haben ein glückliches Ende. So könnte das Stück „Cabaret“, das heute auf der Freilichtbühne der Eutiner Festspiele seine Premiere feiert, auch sein, zumal es in den sogenannten „Goldenen Zwanziger Jahren“ des vergangenen Jahrhunderts spielt.
Aber der US-amerikanische Komponist John Kander präsentiert in seinem Musical, das 1966 am Broadway uraufgeführt wurde, nur anfangs pures Vergnügen und herzerwärmende Liebesgeschichten, bevor er den Blick auf das richtet, was den angeblich goldenen Zeiten folgte: Eine von Nationalsozialisten ausgelöste Menschheitskatastrophe mit der systematischen Ermordung von Millionen von Juden und Angehöriger anderer Minderheiten und einem Krieg mit 50 Millionen Toten.
Der Film von 1972 erhielt acht Oscars
Nicht zuletzt durch eine Verfilmung mit Liza Minnelli, Fritz Wepper und Ralf Wolter aus dem Jahr 1972, die acht Oscars erhielt, wurde „Cabaret“ weltberühmt. Die Inszenierung des Musicals von Tobias Materna, die auf dem grünen Hügel im Schlossgarten zu sehen ist, weicht in einigen Punkten vom Film ab. Aber sie deutet stringent an, welches Ende die Geschichte nehmen wird.
Da ist der Nazi Ernst Ludwig (dargestellt von Mario Zuber), anfangs ein netter, hilfsbereiter Mensch, der später mit der Hakenkreuzbinde am Arm und offen formuliertem Judenhass seine Gesinnung offenbart. Da werden Kulissenelemente zum großen Hakenkreuz formiert, ein Wendepunkt vom unbeschwerten, liberalen Leben hin zum mörderischen Unrechtsstaat. Und der Tanz des Balletts wandelt sich in eine Marschparade und endet in einem Spalier, in dem alle den Arm zum Hitlergruß heben.
Im Vordergrund bleibt die Liebesgeschichte des US-amerikanischen Schriftstellers Clifford Bradshaw (Julian Culemann) und der Varieté-Sängerin Sally Bowles (Jasmin Eberl). Auch Bradshaws Vermieterin, Fräulein Schneider (Susanna Panzner), und der jüdische Obsthändler Schultz (Tilman Madaus), wollen im fortgeschrittenen Alter ihr Leben teilen. Fräulein Schneider löst die Verlobung, weil sie eine Warnung vor einer Ehe mit einem Juden ernst nimmt. Und die Beziehung von Bradshaw und Bowles scheitert, weil sie nicht mit ihm Berlin verlassen will und auch seine Warnungen vor den politischen Entwicklungen in Deutschland nicht ernst nimmt. Eine Frage Sallys, die zum zentralen Satz des Musicals wird: „Was hat denn die Politik mit meinem Leben zu tun?“ Die Antwort liefert die Geschichte.
Eine weitere Rolle spielt Oliver Urbanski als singender, tanzender und akkordeonspielender Conférencier. Große Anteile kommen auch dem Ballett mit sechs Frauen und vier Männern zu, den Kit-Kat-Girls und Boys, die in dem erneut genialen Bühnenbild von Jörg Brombacher agieren.
Auf knapp 900 Zuschauer der fast ausverkauften Premierenvorstellung kommt, wie sich bei der Kostümprobe gezeigt hat, heute ein furios inszeniertes Stück mit vielen bekannten Melodien und brillant besetzten Stimmen zu. Gesang und Schauspiel von Jasmin Eberl als Sally und Susanna Panzner als Fräulein Schneider sind herausragend, aber die anderen Mitwirkenden stehen nicht im Schatten, sondern bilden ohne Schwachpunkte ein großartiges Ensemble. Nicht zu vergessen die Musiker der Lübecker Kammer-Philharmonie. Sie verpassen unter der Leitung von Christoph Bönecker trotz kleiner Besetzung dem Musical den richtigen Ton.
Die Innenministerin nimmt heute an der Premiere teil
Zur Eröffnung der Festspielsaison 2021 wird heute Abend die Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack erwartet, die den Ministerpräsidenten Daniel Günther vertritt – auf der Gästeliste stehen außerdem Wirtschaftsminister Bernd Buchholz sowie Abgeordnete des Bundes- und des Landtages. Eine traditionelle Premierenfeier mit geladenen Gästen im Anschluss an die Vorstellung wurde wegen Corona abgesagt.