Paris auf der Eutiner Seebühne: Applaus und stehende Ovationen für „La Bohème“
Eutin. Im Pariser Café Momus treffen sich vier Freunde, aber auch zwielichtige Gestalten. Ein alternder Casanova verehrt seine kecke Geliebte, die aber lieber ihrem verflossenen Liebhaber schöne Augen macht. In all die heitere Unbeschwertheit scheint sich eine junge Frau verirrt zu haben – Mimi – zart, kränklich und ein naiver Engel zwischen all der lüsternen Koketterie. Sie hat ihr Herz an einen der vier Freunde verloren. Und schon sind wir mitten in der Handlung von „La Bohème“, Puccinis großer Verismo-Oper, die am Freitag auf der Eutiner Seebühne Premiere feierte.
Ministerpräsident Daniel Günther sprach als Schirmherr und betonte dann, wie froh er sei, dass Kultur wieder stattfinde. Falk Herzog, Geschäftsführer der Eutiner Festspiele, dankte für Fördermittel, mit denen eine mobile Überdachung der Tribüne ermöglicht wird.
„La Bohème“ braucht kein pompöses Bühnenbild, auch keine prunkvollen Kostüme, denn der Glanz entsteht von innen heraus. Die Figuren sind so reich an Emotionen, dass bereits die Konstellation aus Eifersucht und tragischer Krankheit die Handlung trägt. Die Eutiner Premiere von „La Bohème“ (Inszenierung Igor Folwill) trug dem Rechnung. Jörg Brombachers Bühnenbild ließ mit wenigen Requisiten neue Räume entstehen: So wurde aus dem rund angelegten Café Momus eine Lebensuhr, auf der der Tod langsam entlangschritt und nur von Mimi bemerkt wurde, der er sich ja näherte. Geschmackvolle Kostüme hat Kostümbildnerin Martina Feldmann entworfen.
Klar war die musikalische Sprache von Dirigent Hilary Griffiths, der Orchester, Chor und Solisten mit Sachverstand führte. Der Chor sang versiert (Chorleitung Sebastian Borleis). Wie durchdacht alles war, sprach auch aus dem Programmheft, das durch seine Hintergrundinfos beeindruckte (in weiten Teilen geschrieben von Dramaturg Matthias Gerschwitz). Zwei der Solisten veredelten die Aufführung: Mimi wurde von Alyona Rostovskaya gesungen. Ihr weicher und tragender Sopran verströmte einen berührenden Schmelz. Marcello, gesungen von Miljenko Turk, war das männliche Pendant zu ihrer großen Stimme und Ausstrahlung. Sein Bariton füllte spielend und ohne Schärfe die Seebühne. Aleksandr Nesterenko musste sich als Rodolfo von seiner Mimi an die Wand singen lassen. Sein warmer Tenor hatte zu wenig Kraft, wirkte ungleich weniger tragfähig.
Eine große Steigerung machte während der Premiere Ines Lex als Musetta durch. Anfänglich wirkte die Sopranistin nervös, bewegte sich zudem recht hölzern, was der frechen Rolle der Musetta nicht guttat, fand dann aber im Verlauf der Handlung ihre Form und sang im Finale mit ihrem Opernpartner Marcello auf Augenhöhe. Bariton Manos Kia als Schaunard war stimmlich und spielerisch überzeugend. Sargis Bazhbeuk-Melikyan als Colline und Mario Klein als Benoit und Alcindoro füllten ihre Bass-Partien solide. Sehr gut gelungen war die Einrahmung der Szenen durch den kommentierenden Clochard (Tilman Madaus). Viel Applaus und standing ovations beendeten einen eindrucksvollen Opernabend.