Zwei queere Ikonen
Matthias Gerschwitz setzt zwei Schauspielern ein Denkmal
Irgendwo und irgendwie könnten sie auch jüngeren Menschen schon einmal begegnet sein: Wilhelm Bendow zum Beispiel in dem berühmten Sketch über Rennbahnbesucher („Ja, wo laufen sie denn?“). Oder Hubert von Meyerinck, der in 165 Kinofilmen gespielt hat, darunter 1957 „Ferien auf dem Immenhof“. Matthias Gerschwitz erweckte die beiden Schauspieler und Kabarettisten am Samstag, 8. Juli 2023, in der Eutiner Opernscheune mit Hilfe von Filmausschnitten, Tondokumenten, Fotos, zeitgenössischen Texten und Zitaten wieder zum Leben.
Dramaturg der Festspiele
Gerschwitz ist seit 2018 Dramaturg und Programmheft-Autor der Eutiner Festspiele. In den vergangenen Jahren hat er bei sehr beliebten Einführungen in jeweils aktuelle Produktionen gezeigt, dass er unterhaltsam vortragen kann. Nun war er im Zug der Veranstaltungen „Auf zu neuen Ufern“ zur Präsentation eines Buches in die Opernscheune gekommen, das im Mai 2023 erschienen ist: „Tü-Tü und Zack-Zack“.
Unter anderem angeregt das Musical „Cabaret“ 2021 bei den Eutiner Festspielen 2021 hatten Gerschwitz angeregt, das Leben von zwei Künstlern zu recherchieren, die zum Ende der Weimarer Republik Karriere gemacht hatten.
Hubert von Meyerinck wurde mit Glatze, Oberlippenbärtchen, Monokel und einer unverwechselbaren Stimme zu einem vielbeschäftigten Schauspieler. Matthias Gerschwitz: „Hubert von Meyerinck ist mit unzähligen Nebenrollen auf der Bühne und in mehr als 300 Filmen und Fernsehsendungen ein ungekrönter König der zweiten Reihe. Der Begriff ,Nebenrolle‘ beschreibt aber nur unzureichend eine schauspielerische Leistung, die tatsächlich eine Bühnen- oder Filmhandlung trägt, unterstützt und vor allem würzt.“
Theater statt Brauerei
Wilhelm Bendow hätte seinen Vater als Besitzer einer Brauerei in Einbeck beerben können, schlug aber den Weg ins Schauspielfach ein. Sehr schnell landete im Fach des Komikers, in den 1920er Jahren wurde er als Kabarettist mit einer eigenen Bühne bekannt. Bendow wirkte in 90 Filmen mit und gilt als Galionsfigur des Spiels mit den Geschlechterrollen.
Wilhelm Bendow und Hubert von Meyerinck standen mehrfach gemeinsam auf der Bühne. Gerschwitz: „Beide können als queere Ikonen gelten, weil sie selbstbewusst und selbstbestimmt, wenn auch unterschiedlich offen, mit ihrer sexuellen Orientierung umgingen – zu einer Zeit, in der Strafe oder sogar das KZ drohten.“
„Gottbegnadet“
Sie wurden vom Regime kritisch beäugt, aber trotzdem in die „Liste der Gottbegnadeten“ des NS-Regimes aufgenommen, was ihnen den Kriegseinsatz ersparte. Der 1884 geborene Wilhelm Bendow starb 1950, der 1896 geborene Hubert von Meyerinck starb 1971, er arbeitete bis kurz vor seinem Tod.