Mitreißende Musik und große Gefühle
Zitternd unter einer Decke wärmen sich die Freunde Marcello (Miljenko Turk) und Rodolfo (Aleksandr Nesterenko) auf der Bühne der Eutiner Festspiele. Ihnen ist im Pariser Winter 1830 so kalt, dass der Dichter Rodolfo sogar ein paar seiner Manuskripte für den Ofen opfert, denn genug Geld für Holz haben beide nicht. Die Künstler in ihren Wintermänteln sind im wirklich warmen Eutiner Sommer nicht um ihre Rollen zu beneiden. Doch sie geben alles – so oft sie der Regisseur Igor Folwill bei der Klavierprobe am Montagabend auch um eine Wiederholung bittet.
In der Pressekonferenz zuvor lobte er die Stimmen des Ensembles – wie recht er hat, wird das Publikum am Freitag bei der Premiere von Puccinis „La Bohème“ selbst hören können. Doch zurück in den Pariser Winter: Die vier Freunde und Künstler – neben Rodolfo und Maler Marcello – der Philosoph Colline (Sargis Bazhbeuk-Melikyan) und Musiker Schaunard (Manos Kia) tun sich schwer mit dem Geldverdienen, aber haben kein Problem damit, den schönen Seiten des Lebens zu fröhnen.
Rodolfo ist Feuer und Flamme für seine Flurnachbarin Mimi ( Alyona Rostovskaya). Das junge Liebesglück könnte perfekt sein, doch ein kleiner Schwächeanfall lässt erahnen, welche Schatten heraufziehen.
Die jungen Liebenden wollen davon nichts wissen und gesellen sich ins „Momus“ zu Rodolfos Künstlerfreunden und feiern das bunte Leben. Marcello trifft auf seine frühere Geliebte Musetta (Ines Lex), die mit ihrem neuen älteren und offensichtlich reicherem Freund Alcindoro (Mario Klein, spielt auch den Vermieter Benoit) da ist. Um diesen loszuwerden, schickt sie ihn zum Schuster und räkelt sich Sekunden später mit „ihrem“ Marcello im bunten Pariser Weihnachtstrubel. Die Paare verlassen das Café, für Alcindoro bleibt nur noch die offene Rechnung.
Funktioniert Liebe ohne Eifersucht? Nicht in der Oper. Große Emotionen, große Musiken. Die Paare streiten sich untereinander: Rodolfo trennt sich aus angeblicher Eifersucht. Auch Musetta kehrt Marcello den Rücken. Erst als Mimi Marcello ihr Leid klagen will, kann sie ein Gespräch zwischen den beiden Männern belauschen und erfährt den wahren Grund: Rodolfo hat mit seinem Hungerlohn nicht die Mittel, seiner sterbenskranken Mimi zu helfen und hoffte, sie durch die Trennung für einen Wohlhabenderen „frei“ zu machen.
Im vierten und letzten Bild von Puccinis meist gespielter Oper kommt es zu großen Gefühlen. Eben noch feierten die vier Freunde in der Wohnung und taten so, als äßen sie die herrlichsten Speisen (doch wie ohne Geld?), da eilt plötzlich Musetta herbei und berichtet von der sterbenskranken Mimi. Rodolfo bereitet seiner Geliebten ein Bett, jeder opfert sein „letztes Hemd“ um Geld für Medikamente und einen Arzt zu beschaffen. Doch es ist zu spät. Als Rodolfo mit Mimi allein ist, versichern sie sich ein letztes Mal ihrer Liebe, erinnern sich zurück an ihre erste Begegnung. Mimi erliegt ihrer Tuberkulose.
Auch wer kein italienisch kann, kann wunderbar mitfühlen, die Musik macht es möglich – und Clochard (Tilman Madaus), der erzählend die Bilder miteinander verbindet.