Interview mit Bastian Sick
Ein Interview
EFS: Herr Sick, seit Ihrem ersten Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ gelten Sie als Experte für die deutsche Sprache, aber in Lustig und ohne den erhobenen Zeigefinger. Ihr Publikum muss bei Ihrem aktuellen Programm „Wie gut ist Ihr Deutsch?“ nicht zittern, dass es womöglich nicht besteht?
Sick: Es sind natürlich einige recht knifflige Fragen dabei, und ich lasse immer durch Handzeichen abstimmen, welche der möglichen Antworten wohl zutrifft. Erfahrungsgemäß meldet sich die Mehrheit bei der falschen (lacht). Aber bei mir wird niemand vorgeführt, es geht mir schließlich darum, auf unterhaltsame Weise Wissen zu vermitteln. Unterhaltung steht bei mir im Vordergrund. Und am Ende sind alle ein bisschen klüger.
EFS: Ihre Show ist eine Mischung aus Lesung, Kabarett, Quiz – und wie ich hörte, singen Sie zum Schluss sogar. Auf welchen Song dürfen wir uns freuen?
Sick: Es ist ein bekannter Popsong aus den 70ern, ein Evergreen, auf den ich einen neuen Text geschrieben habe. Wenn Sie wollen, gebe ich eine kurze Kostprobe. (Sick schmettert mitten im Eutiner Schlosspark los. Und so viel sei verraten: Es IST witzig!)
EFS: Bisher wusste man von Ihnen, dass Sie Sprachwissenschaft können, pointierte, fundierte und lustige Texte schreiben und dass sie blendend moderieren. Warum können Sie plötzlich auch singen?
Sick: Von „plötzlich“ würde ich nicht sprechen. Ich habe immer schon gern gesungen. Im Kirchenchor, im Schulchor, und vor allem zu Hause zu den Liedern meiner Lieblingskünstler Udo Jürgens und Mireille Mathieu. Beide durfte ich später auch persönlich kennenlernen. Mit Udo Jürgens habe ich sogar eine CD herausgebracht mit dem Titel „Lieder voller Poesie“. Dafür habe ich meine Lieblingslieder von ihm ausgesucht und im Booklet kommentiert.
EFS: Und haben Sie mit ihm auch gesungen?
Sick: Um Himmels willen, nein. Ich habe diesen Künstler zutiefst verehrt und war dankbar, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen. Mein Verhältnis zur Musik war immer schon leidenschaftlich. Genauso wie meine Verhältnis zur Sprache. Kaum dass ich überhaupt schreiben konnte, fing ich bereits an, eigene Geschichten zu schreiben. In anfangs noch recht abenteuerlicher Rechtschreibung. In der Oberstufe habe ich dann Theaterstücke geschrieben und mit Mitschülern zur Aufführung gebracht. Die Bühne hat mich immer schon angezogen.
EFS: Wie konnte der Sprung aus einer norddeutschen Kleinstadt auf die große Bühne gelingen? Hatten Sie einen Plan, wie Sie die erklimmen wollten?
Sick: Nein, einen Plan gab es nicht. Als Kind habe ich zwar davon geträumt, Schriftsteller zu werden oder Schauspieler oder Moderator. Aber ich war ein Junge vom Land, und diese Träume schienen mir letztlich unerreichbar. Da hält man sich dann doch an das, was man kennt. Und ich kannte eigentlich nur Lehrer: Mein Vater war Lehrer, alle Freunde meiner Eltern waren Lehrer, meine Lehrer waren Lehrer. Also wollte ich zunächst auch Lehrerwerden.
EFS: In gewisser Weise sind Sie das ja auch geworden.
Sick: Aber eben nur in gewisser Weise. Zwar habe ich anfangs tatsächlich auf Lehramt studiert, aber dann habe ich die Verlagswelt kennengelernt, habe zum Beispiel ein Praktikum bei der „Frau im Spiegel“ gemacht, wo ich meine ersten Artikel schreiben durfte, was für mich damals sehr aufregend war, und habe mehrere Jahre für den Hamburger Carlsen-Verlag als Korrekturleser gearbeitet. Die Verlagswelt lag mir mehr als die Schule, allein schon, weil man da nicht so früh aufstehen muss.
EFS: Von der „Frau im Spiegel“ sind Sie dann schließlich zur Online-Redaktion des „SPIEGEL“ gelangt …
Sick: Ja, von Spiegel zu Spiegel (lacht). Bei »SPIEGEL Online« hatte ich zunächst nur die Aufgabe, die Texte meiner Kollegen auf Fehler durchzusehen. Das hat mich nicht wirklich gefordert, und so fing ich irgendwann an, die Redaktion mit kleinen humorvollen Rund-Mails auf häufige Phrasen und sprachliche Pannen aufmerksam zu machen. Natürlich so, dass sich niemand auf den Schlips getreten fühlte. Die Mails kamen auch gut an, obwohl ich damit eigentlich meine Kompetenzen überschritten hatte.
EFS: Weil das Schreiben nicht zu Ihren Aufgaben gehörte?
Sick: Genau. Als mich der Chefredakteur dann eines Tages zu sich rief, dachte ich: O wei, jetzt wird er mir bestimmt den Kopf waschen und mir sagen, ich soll mit diesen Mails aufhören. Doch das Gegenteil war der Fall. Meinem Chef gefielen meine Auslassungen über den Gebrauch der Sprache, und er fragte mich, ob ich mir nicht vorstellen könne, eine Kolumne zu schreiben. So wurde der »Zwiebelfisch« geboren. Das war im Mai 2003. Ein Jahr später erschienen die Kolumnen dann in Buchform.
EFS: „Der Dativ ist der Genitiv sein Tod“ fand sofort riesige Resonanz. Über Nacht wurden Sie zum Bestsellerautor. Mal abgesehen davon, dass Sie ein tolles Werk geschrieben haben – wie erklären Sie sich dieses enorme Interesse an dem ja wenig hitverdächtigem Thema deutsche Sprache?
Sick: Mein Buch kam zu einer Zeit großer Umbrüche heraus: die digitale Welt, das Schreiben am Computer, die Möglichkeiten des Internet – das alles hat unsere Gewohnheiten nachhaltig verändert. In meiner Jugend war das geschriebene Wort noch ausschließlich in der Hand von Profis. Alles Gedruckte wurde von gelernten Setzern gesetzt und von Korrekturlesern geprüft. Durch das Internet brachen viele dieser Instanzen weg. Plötzlich konnte sich jeder in schriftlicher Form öffentlich machen – in Ratgeberforen, in Blogs oder auf seiner eigenen Website. Wer etwas zu verkaufen hatte, schrieb die Anzeige dafür selbst, und wer etwas über einen bestimmten Film oder ein bestimmtes Buch zu sagen hatte, postete seine Meinung im Internet – jeweils in seiner ganz eigenen Vorstellung von Orthografie. Dadurch kamen natürlich viel mehr Fehler in den Umlauf, was zu einer allgemeinen Verunsicherung führte. Gleichzeitig wurden die Ansprüche im Deutschunterricht in Bezug auf Rechtschreibung immer weiter gesenkt und Grammatik praktisch nicht mehr unterrichtet.
EFS: Ist Sprache nicht immer von Veränderungen geprägt, also ein lebendiges Abbild der Gesellschaft? Wird das Bewahren-Wollen nicht auch schnell reaktionär?
Sick: Natürlich verändert sich die Sprache – weil sich auch die Gesellschaft ständig im Wandel befindet. Es geht mir keinesfalls darum, die Sprache auf einem Stand von anno dazumal „einzufrieren“, wie mir gelegentlich unterstellt wird. Ich versuche nur, das Bewusstsein für die Bedeutung bestimmter Wörter zu schärfen und die Regeln der Grammatik zu erklären. Diese Regeln sind wichtig, denn sie sorgen dafür, dass wir uns überhaupt verständlich machen können - und überall verstanden werden, von Flensburg bis Garmisch, von Saarbrücken bis Görlitz.
EFS: Apropos klar und verständlich: Wie stehen Sie zum umstrittenen Gebrauch der Gender- Formen? Wie zur Verwendung von Doppelpunkten, Sternchen und zum Binnen-„I“ mitten im Wort, um der Gleichberechtigung willen?
Sick: Alle meine Bücher beginnen mit der Anrede »Liebe Leserinnen und Leser«. Ich verwende die weiblichen Formen überall dort, wo es Höflichkeit und Respekt gebieten. Doch ich halte nichts davon, wenn aus einem ideologischen Prinzip die Grammatik verbogen wird. Formen wie „Mitgliederinnen“ oder „Menschinnen“ sind schlichtweg falsch und erregen eher Bedauern als Verständnis. Auch die in Ämtern und Schulen mittlerweile vorgeschriebenen Doppelpunkte oder Sternchen in Wörtern wie Schüler:innen oder Bürger*innen kann ich nicht gutheißen. Die amtlichen Regeln der Rechtschreibung lassen übrigens keine Zeichen innerhalb eines Wortes zu. Die Behörden verstoßen damit gegen ihr eigenes Regelwerk. Und Sätze wie: „Jede/r ist ein/e Meister/in ihres/seines Fachs“ finde ich einfach unlesbar. Wenn die Sprache derartige Barrieren errichtet, wird das Ziel – klares Denken und verständlicher Ausdruck – nicht erreicht.
EFS: Was also tun?
Sick: Das Ganze mit weniger Verbissenheit sehen. Wenn ein Orchester nicht nur aus Männern besteht, sollte man von Musikerinnen und Musikern sprechen. So viel Platz muss in jedem Programmheft sein. Aber statt von »Kinderinnen und Kindern« sollte man lieber weiter einfach von Mädchen und Jungs sprechen. Ich muss dann immer an die Fleischverpackung denken, auf der »Hähncheninnenfilet« steht. Da gerät man als gendergeschulter Mensch schon ins Grübeln …
EFS: Bastian Sick, wir danken Ihnen für das Gespräch!