Chris Jarrett sorgt für unvergessliches Klangerlebnis
Bei seinem zweiten Konzert in Eutin begeistert der Ausnahmemusiker erneut seine Zuhörer.
Seine Musik ist ein Naturereignis, ein wilder Strom, ein vielschichtiger Glockenklang, rhythmisch, farbig, furios, bedrohlich, liebevoll und dabei unglaublich virtuos. Der Pianist Chris Jarrett schlug am Samstagabend 200 Menschen in der Opernscheune in seinen Bann.
Der gebürtige Amerikaner, der seit beinahe 40 Jahren in Deutschland lebt, war vor einem Jahr schon einmal in Eutin. Da waren nur etwa 30 Menschen gekommen. Dieses Mal hatte es sich herumgesprochen, dass sich das Klangerlebnis mit ihm nicht nur lohnt, sondern außerdem unvergesslich bleibt. Eine Kaskade kraftvoller, auch schräger Akkorde wird unterbrochen von kleinen, einfachen, an Kinderlieder erinnernden Melodien, Arpeggien rollen Meereswellen gleich durch den Saal.
Wilder Sturm und kleine Melodie
Nach wildem Sturm plötzlich im Stück „Rituals“ wieder eine kleine Melodie, die Finger scheinen zu fragen „Weißt du noch? Kennst du mich noch?“. Ein leise singendes Innehalten, nachdenklich, sinnend, erzählend, als weckten sie sacht die Erinnerung und die Tasten antworten überwältigend in ihrer Kraft, Ausdrucksstärke und Dichte, bis das Stück im Erkennen endet „ja, du weißt wieder“.
Chris Jarret, Jüngster von fünf Jungen, wuchs in den Appalachen östlich von Pennsylvania auf. Die Mutter zog die Kinder allein auf, nachdem die Eltern sich trennten, als Chris Jarrett drei Jahre alt war.
Im Vietnamkrieg wurde damals jeder Amerikaner im entsprechenden Alter eingezogen. Die Familie Jarrett bekannte sich offen gegen diesen Krieg. Das hatte zur Folge, dass die jungen Männer von Polizei und FBI, ja sogar über das Radio gesucht wurden. Der Jüngste, Chris, wurde elfjährig von seiner Mutter für drei Jahre aus der Schule genommen, um ihn vor Anfeindungen und möglichen Repressalien zu schützen. Er wurde in einer freien Schule 500 Kilometer entfernt angemeldet, damit ihn im Heimatort niemand vermisste.
Drei Jahre zuhause eingesperrt
Tatsächlich war er diese drei Jahre lang zu Hause eingesperrt, durfte niemanden sehen und von niemandem gesehen werden. Schwer vorstellbar, dass man solche drei Jahre in der Pubertät unbeschadet übersteht. Die ungeheure Kraft, die er in seinem Spiel zeigt, scheint ihn aber bewahrt zu haben. Er wusste sehr früh, dass er Komponist werden wollte, aber erst mit 13 Jahren bekam er Klavierunterricht und ein Instrument kam ins Haus.
Heute ist er musikalisch nicht einzuordnen. Auf die Frage, woher seine Musik komme, antwortet er, seine Komposition sei sehr persönlich, sehr authentisch, sie sei ein körperlicher Zustand und er spiele zu Hause anders als in einem Konzertsaal. Auch in jeder Stadt spiele er anders, je nachdem, wie die Leute seien, wirke das auf ihn und fließe in sein Spiel mit ein. Nur wenn er Lieder, also Gedichte von zum Beispiel Erich Fried, George Gordon Byron oder Friedrich Hölderlin, musikalisch bearbeite, tue er das eher kognitiv. Aus Respekt, wie er sagt, um die Poesie „nicht zu verhunzen“. Nur manchmal träumt er Musik, die er beim Erwachen aufschreibt.
Teilhabe an etwas sehr Persönlichem
Vielleicht ist es das, was so fasziniert. Das Teilhabenlassen an etwas, das aus einer überpersönlichen Tiefe kommt, so persönlich und eigen und so weit darüber hinaus gültig. Und die Eindringlichkeit, die kein Abwenden duldet, bis sie von selbst loslässt und die Musik spielerischer wird. Diese Musik, die fordert „Lass dich ein oder geh, aber erwarte keine Mittelmäßigkeit!“ Die Zuhörer der ausverkauften Studiobühne in der Opernscheune dankten das großartige Konzert mit großem Applaus und äußerten vielfach ihre Begeisterung. „Toll, was die Festspiele in ihrer Interimszeit für Eutin auf die Bühne gestellt haben!“