Bewegender Fluch im Zen-Garten
Giacomo Puccinis "Madama Butterfly" kehrt nach zwei Jahrzehnten zurück auf den Grünen Hügel in Eutin
In dieser „fremden Lebenswelt“, analog zum diesjährigen Motto der Eutiner Festspiele, ist die fernöstliche Szenerie von Puccinis Musiktheater-Tragödie „Madama Butterfly“ ausgesprochen ästhetisch eingefasst.
Das Bühnenbild von Jörg Brombacher und die traditionsbezogenen Kostüme von Martina Feldmann suggerieren eine zunächst schneeweiß unschuldige Aura, in der aber – das assoziiert man quer aus Tarantinos „Kill Bill“ – auch gnadenlos Negatives möglich ist. Das scharf geschliffene Samurai-Schwert, mit dem sich einmal mehr der Fluch der Familie im rituellen Selbstmord erfüllen wird, ist parat. Und die Ausleuchtung des Ganzen (Licht: Rolf Essers) schafft mit wachsender Dunkelheit immer mehr Farbatmosphäre.
Die junge Geisha „Butterfly“ Cio-Cio-San wird Opfer ihrer erwachten Liebe zum Fremden, in Person des amerikanischen Offiziers Pinkerton. Die Inszenierung von Igor Folwill setzt die berühren-den Vorgänge einer Fake-Hochzeit mit bitteren Folgen ohne überanstrengte Regievolten wie in Zeitlupe unaufhaltsam in Szene – sehr ausbalanciert in der Positionierung der Figuren auf der breiten Bühne. Ein Stars-and-Stripes-Thron und eine Scotch-Reisebar reichen völlig, um die touristischen Eindringlinge aus dem Wilden Westen zu diskreditieren.
Auch wenn die Übertitel in der italienischsprachigen Aufführung für ein Detailverständnis bedauerlicherweise fehlen, wird hier (fast) alles glasklar aufgefächert. Außerdem gelingt die musikalische Präsentation suggestiv. Und das ist bei einer auf betörende Klangeffekte getrimmten, sehr minutiös gearbeiteten Partitur im Open-Air-Kontext keineswegs selbstverständlich. Aber Hilary Griffiths, der erstaunlicherweise auswendig dirigiert, weiß ganz genau, wie er mit dem gut disponierten Projektorchester Kammerphilharmonie Lübeck asiatisch kolorierte Tupfer, amüsante Zitate (wie die amerikanische Hymne), süße, aber eben nicht süßliche Schwelgereien und schließlich hochdramatische Schicksalsschläge wirkungsmächtig platzieren kann.
Und das führt er souverän mit dem gut disponierten, im herrlichen Mondchor geschickt elektroakustisch hinzugeblendeten Festspielchor (Einstudierung: Sebastian Borleis) und einem erstklassigen Ensemble zusammen.
Allen voran glänzt Tetiana Miyus in der Titelpartie. Ihre Cio-Cio-San leuchtet mit schöner, die Arena flutende Resonanz in allen Registern so jugendfrisch, dass die 15-jäh-rige Teenager-Mutter glaubhaft wird. Da sich dann im optimal beherrschten Legato-Strom immer dramatischere Farben in den Sopran mischen, werden Hoffnungsflammen und Illusionsrauch berührend hörbar.
Dazu passt der angenehm timbrierte, walisische Tenor von Timothy Richards rollendeckend gut. Gerade in seiner bodenständig britischen Art und Sprachbehandlung als etwas linkischer Offizier Pinkerton. Aus dem Lübecker Ensemble schätzt man die Qualitäten von Gerard Quinn im italienischen Baritonfach. Sein Sharpless ist ein ahnungsvoller, aber letztlich hilfloser Sekundant im Clash der Kulturen. Die polnische Mezzosopranistin Wioletta Hebrowska ist keine hochdramatische, aber einfühlsame und stimmlich gut zur Butterfly passende Freundin Suzuki.
Der begeisterte Applaus brandet in Riesenwellen über die Akteure: vor allem für die ukrainische Sängerin der Titelpartie, für den Dirigenten und eine szenisch sauber gelungene Produktion. Pech, dass das Regieteam ihn wegen Corona-Infektionen nicht entgegennehmen kann.